Was fehlt in Ingolstadt zum Glück?

Sigrid Diewald über Lebensqualität in Ingolstadt.

Feinschmeckerei – Restaurant und Laden
Treffpunkt Feinschmeckerei an der Ecke Schmalzingergasse/Milchstraße in Ingolstadt. Zweimal bin ich an dem Obst- und Feinkostgeschäft vorbeigelaufen, bis mir Google Maps unmissverständlich klar gemacht hat: Da musst du hinein. Ich wusste nicht, dass sich das eigentliche Lokal im Obergeschoss befindet. Dass ich diese gastlichen Räume jetzt zum ersten Mal betrete, verzeihe ich mir nicht. Ich habe viel verpasst. Das betrifft das Interieur und das vorzügliche Essen. Ein Blick aus dem Fenster im ersten Stock und ich sehe, wie Sigrid Diewald mit ihrem VW California Beach vorfährt und mutig parkt. Mein Traumauto. Sie übernachte zwar, aber koche nicht in diesem Bus, erzählt Sigrid Diewald auf Nachfrage. Wäre zwar möglich, aber für eine ambitionierte Köchin nicht optimal. Dabei ist das Essen wichtig für die Lebensqualität. Darauf hat Sigrid Diewald bei  einer Podiumsdiskussion hingewiesen, an der vorwiegend Architekten teilnahmen, die Bauwerke für die Qualität einer Stadt als prägend erachteten.
Feinschmeckerei in der Schmalzingergasse

Eigentlich könne man in Ingolstadt sehr gut leben, meint die Geschäftsführerin der Designagentur schnellervorlauf.  Nur ganz wenig fehle zu großen Glück auf der Schanz.

“Was ich persönlich vermisse ist eine tolle Weinbar, in der man auch gut essen kann; überhaupt Orte, wo man sich unverbindlich am Abend treffen  und schön essen kann. Es gibt natürlich tolle Restaurants in Ingolstadt. Wir wollen ja immer eine Großstadt sein. Aber wenn man in anderen Großstädten ist, wie zum Beispiel Regensburg, findet man halt Lokale, wo alles toll ist, nicht nur das Essen. Man geht rein, erlebt eine angenehme Atmosphäre, der Service ist super, das Essen ist toll. Solche Orte gibt es nur wenige in Ingolstadt.”

Einwand: Wir haben doch atmosphärisch ansprechende Bars in der Stadt.

“Tagsüber haben wir grandiose italienische Tagesbars, auch die Feinschmeckerei, tolle Cafés. Abends gibt es natürlich auch Restaurants, wo ich gern hingehe: Das Stella d’Oro oder das Shinshu der Familie Kasai in der Tränktorstraße. Natürlich ist auch das Gasthaus Daniel auf seine Art toll. Manchmal würde ich mir aber mehr wünschen. Ich lese den Blog von Michael Olma (www.extraprimagood.de). Der hat eine sensationelle Auswahl an Restaurants. Wenn man genau hinschaut, stellt man aber fest: Die meisten liegen außerhalb, um Ingolstadt herum. Wenn man solche Restaurants, wie er sie beschreibt, auch in Ingolstadt finden würde, vielleicht drei oder vier an der Zahl, wo man sich nicht nur zum Essen trifft, sondern auch, um sich auszutauschen, das wäre gut. Es sollten Lokale sein, in denen sich nicht nur junge Leute, sondern alle Generationen wohl fühlen können.”

Bei der erwähnten Podiumsdiskussion, die von Jesko Schulze-Reimpell geleitet wurde, ging es um das Thema Architektur und Lebensqualität. Wie wichtig ist gute Architektur für eine Stadt?

“Architektur ist natürlich die Basis der gebauten Stadt. Da sind wir an sich in Ingolstadt mit alten, schönen Gebäuden gesegnet. Die neuen Bauwerke, die kommen sollen, sind wohl auch toll. Bei der Architektur kommt es aber nicht nur darauf an, was man sieht, sondern was innen passiert, also in der Architektur! Wichtig ist das soziale Zusammenkommen, dass sich Menschen treffen. Dass man mit Architektur etwas anfangen kann, dass darin etwas stattfindet.”

Gasthaus Daniel

Dazu passt ein Slogan des Haushaltsgeräteherstellers Miele: Design ist nicht nur das Äußere eines Objekts, sondern auch das Erlebnis des Benutzens. Gilt dies auch für die Architektur?

“Das kann ich genau so unterschreiben. Natürlich sind die Raumbezüge in einer Stadt wichtig, worauf die Architekten hingewiesen haben. Aber noch wichtiger ist, dass die Ingolstädter Bürger sich als Stadt begreifen. Es geht darum, nicht nur auf der Couch zu Hause zu sitzen, sondern auch in die Stadt reinzugehen, um diese – auch die Architektur – zu nutzen, zu erleben. Und das ist natürlich angenehmer, wenn es in schöner Architektur geschieht. Aber wichtig ist, dass es überhaupt geschieht.”

Was ist schöne Architektur in Ingolstadt?

“Da denke ich zum Beispiel an den wirklich gelungenen Anbau beim Deutschen Medizinhistorischen Museum. Ich freue mich auch sehr auf das neue Museum für Konkrete Kunst und Design in und unter der alten Gießereihalle. Ansonsten gibt es nicht so viel bemerkenswerte neuere Architektur Ingolstadt. Im wesentlichen gelang die Restaurierung von Altbauten. Wir haben großartige Gebäude in der Stadt. Man darf sich aber nicht nur davor verneigen. Man muss auch daran denken, dass sich die Bedürfnisse verändern. Es hat in den letzten zehn bis zwanzig Jahren ein Wandel stattgefunden. Es zählt nicht nur die alte Architektur. Vielmehr geht es darum, dass die Architektur lebt und belebt wird durch junge und alte Leute. Das funktioniert natürlich nicht nur über Restaurants. Es hat sich auch schon viel getan. Die Innenstadt lebt durchaus. Allerdings ist festzuhalten, dass die Menschen im digitalen Zeitalter weniger rausgehen. So gibt es in Ingolstadt in der Innenstadt heute viel weniger Diskotheken als früher. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich funktioniert, ob man die Leute wieder mehr in die Stadt bringt. Das ist so komplex. Ich frage mich: Wie soll das gehen?”

Schafft es das Theater. Intendant Knut Weber leistet ja ausgezeichnete Arbeit und geht auf die Bürger zu. Und die geplanten Kammerspiele?

“Die Kammerspiele! Das ist natürlich auch eine Art von Architektur, die ich mir in der Stadt wünsche. Die sind natürlich eine Attraktion. Dennoch: Wir haben damit noch nicht das Problem gelöst. Wo gehe ich vorher oder nachher hin zum Essen oder Trinken. Ich kenne viele Leute, die gern ins Theater gehen, aber nicht wissen, wo sie vorher oder nachher noch hingehen sollen. Da reicht der Gasthof “Anker” gegenüber dem Theater allein nicht. Es bedarf einer größeren Auswahl.”

Was soll es denn sein? Eine bestimmte kulinarische Ausrichtung?

“Nein, Hauptsache das Essen ist gut. Gutes Essen kann man in jeder Küche – ob bayerisch, italienisch oder asiatisch – machen. Es muss auch nicht unbedingt etwas Gutbürgerliches sein. Es darf etwas Unkompliziertes sein. Das kann auch eine gute Tapas-Bar sein. Ich liebe auch diese Food-Trucks. Es sollte was Modernes sein.”

Was ist in Ingolstadt ein gelungenes Lokal?

“Outstanding ist natürlich so etwas wie der Daniel. Da funktioniert die Location mit der Einrichtung, mit dem Service, mit dem Essen. Das ist total in sich schlüssig. Auch das Stella d’Oro ist auf seine Art schlüssig. Jetzt kommt noch mehr System-Gastronomie nach Ingolstadt. Das ist gut. Es belebt jedenfalls die Innenstadt. Man denke nur an die Ludwigstraße. Hans im Glück läuft super. Mir persönlich ist das allerdings ein bisschen zu amerikanisch. Es gibt aber kein gutes französisches Lokal in Ingolstadt. Das kommt offenbar  in Ingolstadt nicht an.”

Ein Wunsch für die Innenstadt? So etwas wie der Weinschmecker in der Neuburger Straße? Oder ein Café wie das frühere Westermeier? In Salzburg gibt es das herrliche Café Bazar.

“Richtig, die ganze Friedrichshofener Straße hat sich zur Fressmeile entwickelt. Liegt das daran, dass man dort mit dem Auto vorfahren kann? Ich weiß es nicht. Ich finde es ein wenig industriemäßig. Daher bin ich noch lieber in der Innenstadt. Aber es funktioniert und das ist entscheidend. Und so etwas wie der Weinschmecker wäre in der Innenstadt toll. Ein großes Café? Die Frage ist:  Wo könnte man eine geeignete Location in der Innenstadt noch haben. Wo gibt es in Ingolstadt geeignete Räume?”

Die Fasshalle im Georgianum?

“Die Fasshalle wird natürlich auch super. Es sind auch viele Projekte in der Schwebe, die kommen werden. Toll war auch das Restaurant Beyer in der Kanalstraße. Da wurde ganz toll gekocht. So etwas wie das Beyer fehlt. Es war sensationell gut, aber trotzdem ist es nicht gelaufen. Vielleicht bin ich mit dem Wunsch nach guten Restaurants relativ allein? Hier beißt sich auch die Katze in den Schwanz. Wenn man wirklich versucht, gute Gastronomie zu machen, muss man die Masse der Ingolstädter Ingolstadt erst mal dazu bringen, das Angebot anzunehmen. Und nicht nur den Schweinsbraten für 9,90 € zu wollen.”