Thema: Ingolstadt ist ein unheimlich interessanter Standort

Michael Henke hat als Co-Trainer mit Dortmund und den Bayern die Champions League gewonnen. Als Sportdirektor des FC Ingolstadt 04 ist nun Dritte Liga angesagt. Ein offenes Gespräch.

Anfang 2013 kam er vom englischen Erstligisten Aston Villa, wo er als Scout tätig war, als Co-Trainer zum FC Ingolstadt 04. Der Westfale feierte an der Seite von Cheftrainer Ralph Hasenhüttl und mit ganz Ingolstadt im Mai 2015 den Aufstieg in die Erste Bundesliga. Im Oktober 2017 verließ Michael Henke den FCI und wechselte zum chinesischen Klub Shanghai Shenhua, um im Frühjahr 2019 wieder nach Ingolstadt zurück zu kehren. Seit Anfang Juni ist er Sportlicher Direktor des FC Ingolstadt 04. Statt Champions League ist nun Dritte Liga angesagt. Aber das hat seine Vorteile, wie der 62-Jährige im Gespräch vor der Winterpause verraten hat.

Herr Henke, Sie kommen gerade vom Training der Mannschaft. Gucken Sie da immer zu?
Ich versuche, bei jeder Trainingseinheit dabei zu sein. Das ist nicht zu 100 Prozent möglich, weil man dann doch auch mal kurzfristig noch einen Termin reinbekommt. Aber für mich ist es wichtig, in jeder Trainingseinheit eine Standortbestimmung zu machen. Es sind auch immer wieder neue Jungs dabei, heute waren es einige aus der U19, die man noch nicht so gut kennt. Wenn man sie dann auf diesem Niveau 90 Minuten im Training sieht, bekommt man schon nochmal einen besseren Überblick.

Momentan müssten Sie ja mit der Situation bei FC Ingolstadt 04 „happy“ sein…
Wir sind in eine Dritte Liga gestartet, bei der wir nicht so genau wussten, was auf uns zu kommt. Daher haben wir ja auch immer gesagt, dass wir erstmal zurechtkommen und uns orientieren müssen. Klar wollten wir von Anfang an erfolgreich sein, sind dann gut gestartet, haben einen Durchhänger gehabt und uns dann wieder stabilisiert. Ich sehe, dass sich die Mannschaft in verschiedenen Bereichen weiterentwickelt und das ist für mich entscheidend und weniger, ob wir nach etwa einem Drittel der Saison erster oder fünfter sind.

Foto: Jürgen Meyer

Sie haben das Stichwort Liga Drei schon genannt. Das war ja leider das einschneidende Ereignis im Jahr 2019. Schmerzt der Abstieg noch oder ist das „gegessen“?
Nein. Man kann sich da nicht von frei machen. Man postuliert zwar immer, dass wir nach vorne schauen müssen und dass es nicht viel bringt, wenn wir zurückschauen. Die Analyse dessen, was falsch gelaufen ist haben wir gemacht, also können wir nach vorne schauen und uns mit der Gegenwart beschäftigen, aber man wird hin und wieder erinnert. Wenn man Wehen Wiesbaden samstags in der zweiten Liga sieht, dann kommt es bei einem selber auch wieder hoch. Ganz abhaken kann man es nicht, aber wir versuchen uns stark mit der Gegenwart und der Zukunft zu beschäftigen.

Sie haben viele Stationen hinter sich, FC Bayern, Borussia Dortmund, 1. FC Köln, sogar Teheran, Aston Villa – und nun wieder Ingolstadt. Irgendetwas muss hier doch richtig laufen, sonst wären Sie nicht wieder da?
Richtig. Nach Aston Villa bin ich damals in Ingolstadt gelandet und hab mich da schnell wohl gefühlt. Die Zeit war sehr erfolgreich bis zum Aufstieg in die Erste Liga. Mit der Zeit knüpfte ich auch viele gute Kontakte und deshalb habe ich Ingolstadt – egal, was ich gemacht habe – immer im Auge gehabt. Ob das auch das Jahr in Shanghai war, ich habe immer nachgesehen, wie die Schanzer am Wochenende gespielt haben und ich einige Kontakte an die alte Wirkungsstätte aufrechterhalten können. Ich finde, Ingolstadt ist ein unheimlich interessanter Standort. Ich bin ja Westfale, fühle mich im Süden aber sehr wohl. Es muss nicht immer München sein, ich finde gerade Ingolstadt bietet super Perspektiven, auch um zu leben. Ingolstadt bietet von der Infrastruktur alles, was man braucht.

Sie haben ja den Vergleich zu Vereinen, die z.B. in der Champions League spielen inklusive all dem, was sich da abspielt. Kann man in Ingolstadt vielleicht ruhiger arbeiten? Gerade in der Dritten Liga. Ist das ein Vorteil?
Das ist ein Vorteil. Klar. Manche beklagen aber auch, dass etwas mehr Zuschauerresonanz schön wäre. Aber man muss auch die Vorteile sehen, weil man in Ruhe arbeiten kann, man hat eine gute Infrastruktur, gute Bedingungen. Die Medienlandschaft ist nicht so hektisch wie vielleicht in Köln, München, oder Dortmund. Auf der anderen Seite tut so ein bisschen Druck von außen immer ganz gut. Wir müssen auch sehen, dass wir die Dinge kritisch betrachten. Aber ein unruhiges Umfeld macht es aus meiner Sicht schwieriger.

Wo war das Theater am größten oder haben Sie es am unangenehmsten empfunden?
Ich hatte das Glück, dass es in Dortmund und bei den Bayern sehr erfolgreiche Zeiten waren. Aber klar, wenn man bei Bayern unentschieden spielt, dann ist das schon eine kleine Katastrophe. Köln ist so ein Verein, der sehr reizvoll ist. Da merkt man, wie der Verein ein wesentlicher Bestandteil der ganzen Stadt ist. Das ist interessant, aber es herrscht auch ein enormer Druck, der durch verschiedene Medien entsteht, die zwangsläufig auch gegeneinander arbeiten. Es ist schön, das erleben zu dürfen, aber es hat alles Vor- und Nachteile und ich glaube, dass man in Ingolstadt weniger Medienrummel hat, ist eher ein Vorteil.

Sie haben so gesehen auch verschiedene Fankulturen miterlebt. Jetzt ist der FC Ingolstadt 04 ein junger Verein. Wie empfinden Sie hier die Fanbegeisterung?
Dadurch, dass es eine junge Entwicklung ist und die Anzahl der Fans überschaubar ist, haben wir die Möglichkeit, engere Kontakte zu den Fans zu bekommen. Das ist in den großen Vereinen so nicht möglich. Hier könnte man – rein theoretisch – sogar eine Weihnachtsfeier mit allen Fans stemmen, in Dortmund oder bei Bayern musste man dann Fan-Delegierte einladen. Das ist hier noch anders. Wenn wir einen Fanabend machen, dann hat man da eine überschaubare Gemeinschaft, die auch wirklich die Fans repräsentieren, zu denen man einen Draht hat und mit denen man auch diskutieren kann. Das finde ich äußerst angenehm.

Die Mannschaft hat turbulente Zeiten hinter sich, auch viele Trainerwechsel. Als Außenstehender kann man sich das manchmal gar nicht erklären, warum ein und dieselben Spieler unter dem einen Trainer hervorragend spielen und unter dem anderen nicht. Woran liegt so etwas?
So ein Verein ist ein fragiles Gebilde. Auch Leute aus der Wirtschaft versuchen oft, das gleich zu setzen – erfolgreiches Unternehmen, erfolgreicher Verein. Aber das ist nicht so. Im Fußball fokussiert sich alles auf das Spiel am Wochenende. Wenn man erfolgreich ist, ist alles super und wenn man unglücklich verliert, wird alles in Frage gestellt. Das ist der eine Faktor. Und dann nützen einzelne, gute Spieler oder ein einzelner guter Trainer nichts, sondern es muss das Gefüge stimmen. Das Gebilde Mannschaft mit „Staff“, also Betreuerteam, muss funktionieren, genauso wie das Zusammenspiel Trainerteam und Mannschaft passen muss. Und das funktioniert eben manchmal trotz guter Spieler und Trainer nicht, aus verschiedenen Gründen. Das ist schwer zu verstehen – auch für uns Insider sind manche Entwicklungen wirklich nur schwer zu erklären. Aber das ist das Interessante an der Aufgabe. Man muss eine Mannschaft hinkriegen, die wirklich zusammenspielt, die zusammenlebt und in der jeder einzelne seine Qualitäten einbringt. Dazu braucht man einen Trainer, der diese Mannschaft richtig anpackt und auch die richtigen Schlüsse findet, wenn mal was hakt. Wenn da eine gute Harmonie besteht, kannst du auch überdurchschnittliche Leistungen bringen.

Der Jeff Saibene macht im Moment alles richtig?
Alles bis ins letzte Detail macht der Jeff auch nicht richtig, im Fußball macht man nie alles richtig (lacht). Wir hatten uns ja im Vorfeld viele Gedanken gemacht und wollten den Spruch „Mentalität geht vor Qualität“ leben. Wir haben danach ganz bewusst die Spieler ausgesucht und haben dann nach dem passenden Trainer Ausschau gehalten. Im Moment harmoniert das zwischen Mannschaft und Trainer gut. Und das auch in einer Phase, in der wir Misserfolg hatten. Das ist für mich der Gradmesser, denn wenn es gut läuft, ist das kein Problem. Aber wir hatten ja eine Phase mit fünf, nicht gewonnenen Spiele und drei Niederlagen hintereinander. Da wurde sehr kritisch miteinander umgegangen. Aber ich habe auch da gesehen, dass dieses Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer funktioniert. Das stimmt mich optimistisch, dass es auch so bleibt.

Haben sich die Anforderungen an einen Trainer in den letzten Jahren oder Jahrzehnten geändert?
Es hat sich schon etwas geändert. Die junge Generation ist anders, Stichwort Social Media., Das ist anders als es vor zwanzig, dreißig Jahren war. Nur die Kernkompetenz, die ein guter Trainer haben muss, hat sich nicht verändert: Das ist Menschen- und damit auch Mannschaftsführung. Für mich ist das entscheidend und das war vor zwanzig Jahren elementar, um die Champions League zu gewinnen und das brauchst du auch jetzt, um im Spitzensport Erfolg zu haben. Von daher hat sich nicht so viel verändert, nur die Ansprache, die Auseinandersetzung zwischen Trainer und Mannschaft hat sich verändert.

Trainer Ottmar Hitzfeld (r) und Co-Trainer Michael Henke (2.v.r.) und die Spieler von Borussia Dortmund reißen am späten Abend des 28.5.1997 im Münchner Olympiastadion triumphierend die Arme hoch, bejubeln den Cupsieg und bedanken sich bei ihren Anhängern für die moralische Unterstützung. Im Finale der europäischen Fußball-Champions League schlägt Borussia Dortmund den italienischen Meister Juventus Turin mit 3:1 und macht in seinem 100. Europapokalspiel den größten Triumph in seiner Vereinsgeschichte perfekt. Foto: pa picture alliance

Jetzt verbindet man mit Michael Henke immer auch einen großen Namen, nämlich Ottmar Hitzfeld. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Ja, Wir telefonieren miteinander und treffen uns seltener. Weil er in Lörrach ein bisschen weit weg von hier zu Hause ist. Aber wir haben regelmäßig Kontakt, tauschen uns aus über allgemeine Sachen und Privates, aber auch über Fußball.

Auch über den FC Ingolstadt 04?
Den Ottmar interessiert das schon sehr, er schaut sich unsere Spiele hin und wieder an und meldet sich auch dementsprechend. Daher nutze ich die Gelegenheit, mich sporadisch mit ihm auszutauschen, obwohl er natürlich die Mannschaft und den Verein nicht im Detail kennt.

Jetzt gibt’s beim FC Ingolstadt 04 nicht nur die Profis, sondern auch Jugendmannschaften und eine erfolgreiche Damenmannschaft. In der Öffentlichkeit wird das eher weniger wahrgenommen. Wie wichtig sind diese Bereiche für den Verein?
In Ingolstadt hat man noch die Möglichkeit, dieses Bewusstsein der Schanzer Familie zu leben und zu prägen. Das hängt eben auch damit zusammen, dass alles ein bisschen näher beieinander ist, dass man sich auch hier auf dem Trainingsgelände oder im Funktionsbereich über den Weg läuft und nicht anonym an verschiedenen Standorten arbeitet. Das ist sehr angenehm und für uns auch wichtig, was den Nachwuchsbereich und die entsprechende Durchlässigkeit angeht. Wir von den Profis wollen wissen, was läuft da „unten“ und sie haben auch jeweils Zugang zu uns, um sich erkundigen zu können, was „oben“ gefordert ist und in welche Richtung die jungen Spieler ausgebildet werden müssen. Schließlich wollen sie irgendwann in der ersten Mannschaft mitmischen.

Gibt es hier viel Talent?
Wir erleben das gerade aktuell im neuen Kader. Wir haben uns das auf die Fahnen geschrieben, dass wir die aufwändige Arbeit im NLZ, also Nachwuchsleistungszentrum, nicht verpuffen lassen wollen. Das Konzept scheint dieses Jahr sehr gut aufzugehen. Wir haben vier, fünf ehemalige U19 Spieler, die sich teilweise schon durchgesetzt haben und relativ viel spielen wie Fatih Kaya, Patrick Sussek vor seiner Verletzung oder Thomas Keller, der es zum Nationalspieler gebracht hat. Auch Filip Bilbija und der noch junge Torhüter Fabijan Buntic gehören dazu. Das ist sicherlich ein wichtiger Baustein unseres Konzepts, damit diejenigen, die im Nachwuchsleistungszentrum arbeiten, auch merken, dass das Sinn ergibt. Da kommen oben Jungs an. Daraus darf natürlich nicht purer Jugendwahn resultieren, sondern da muss auch Qualität kommen. Das ist zweifelsohne bei den jungen Spielern, die ich genannt habe, der Fall. Die haben Qualität und wir müssen ihnen die Chance geben, dass sie sich auf Profiniveau, ob das Dritte oder Zweite Liga ist, entwickeln können.

Dann werfen wir noch einen Blick auf das Jahr 2020. Wenn Sie einen Wunsch für 2020 hätten, welcher wäre das?
Auf jeden Fall, dass wir wieder in der Zweiten Liga spielen und dann wenig Sorgen haben und irgendwo im Mittelfeld stehen. Das wäre ein großer Wunsch von mir, obwohl wir das wie gesagt nicht als Ziel ausgegeben haben. Aber der Wunsch ist natürlich da, möglichst schnell wieder in der Zweiten Liga zu spielen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Der Fahrplan des FC Ingolstadt 04 nach der Winterpause:
Freitag, 3. Januar, 15 Uhr: Trainingsauftakt am Trainingsgelände (Audi Sportpark)
Sonntag, 5. Januar, 14.30 Uhr: Abflug ins Wintertrainingslager nach Oliva/Valencia (Spanien)
Dienstag, 7. Januar, 15.00 Uhr: Testspiel vs. St. Gallen in Alicante
Sonntag, 12. Januar, 15.00 Uhr: Testspiel vs. Holstein Kiel auf der Trainingsanlage (Oliva Nova Beach)
Montag, 13. Januar, 17.30 Uhr: Ende Trainingslager in Oliva Nova/Valencia und Rückflug nach Ingolstadt
Freitag, 17. Januar: Testspiel vs. Jahn Regensburg nicht öffentlich
Dienstag, 21. Januar, 14 Uhr: Testspiel vs. Karlsruher SC am Trainingsgelände (Audi Sportpark)
Samstag, 25. Januar, 14 Uhr: Restrundenauftakt gegen den MSV Duisburg (Schauinsland-Reisen-Arena)