Karl Marx und die Stadtheimatpfleger

(hk) Wären Tobias Schönauer und Matthias Schickel Frauen, schwul oder hätten keine weiße Hautfarbe, wären sie dann vielleicht auch von den Grünen als Stadtheimatpfleger gewählt worden?

In der letzten Stadtratssitzung wurden Tobias Schönauer (Stadtheimatpfleger) und Matthias Schickel (Stellvertretender Stadtheimatpfleger) in ihren Ämtern bestätigt und bis zum 31. Dezember 2026 bestellt. Beide waren bereits jetzt in dieser Funktion tätig und niemand hat je deren Arbeit kritisiert. Dennoch stimmten (nur) die Grünen gegen die erneute Bestellung beider. Warum?

Am 28. Juni 2021, es war mit 30 °C der wärmste Tag Ende Juni/Anfang Juli, stellten die Grünen einen Stadtratsantrag betreffend die Bestellung bzw. Wiederbestellung der Stadtheimatpfleger. Bei dem damals schon vorliegenden Vorschlag der Verwaltung, Schönauer und Schickel erneut zu bestellen, sahen sie „grundsätzlichen Korrekturbedarf“. Die Größe der Stadt und der Umfang der Themen von Denkmalschutz bis Brauchtumspflege rechtfertigten und erforderten eine Aufteilung auf zwei kompetente Personen. Dabei müsse unbedingt auf die bei Doppelspitzen übliche geschlechtergerechte Bestellung geachtet werden. So hieß es in der Einleitung des Antrags. Die offizielle Begründung lautete dann:

Es besteht kein Zweifel an der Tatsache, dass beide Herren ihr Ehrenamt mit Sorgfalt und Expertise ausgefüllt haben. Eine geschlechtergerechte Vertretung unserer Stadtbevölkerung ist jedoch in unserer Zeit eine Selbstverständlichkeit. Möglicherweise muss auch der Wahlmodus diesen Erfordernissen angepasst werden.”

Mit anderen Worten: Den Grünen war klar, dass hier zwei Stadtheimatpfleger gute Arbeit geleistet hatten. Dennoch sollte einer von beiden nicht mehr bestellt werden, weil eine Frau dabei sein müsste.

Damit war der Stadtrat bei der in diesen Tagen so oft diskutierten Frage angelangt, ob es nicht mehr in erster Linie entscheidend ist, was ein Mensch kann, sondern was er ist.

Noch im 19. Jahrhundert war es für den Werdegang eines Menschen wichtig, in welches gesellschaftliche Umfeld er hineingeboren wurde, also was er war. Der Adel verfügte beispielsweise über zahlreiche Privilegien (insbesondere was das Wahlrecht betraf) und wer zur Arbeiterschaft, die im Zuge der industriellen Revolution ausgebeutet wurde, gehörte, hatte kaum die Möglichkeit, sozial aufzusteigen oder wenigstens ein angemessenes Einkommen zu erzielen.

Dies empfanden schon damals viele als ungerecht und (u. a.) Karl Marx setzte dem Standesdenken das Leistungsprinzip entgegen. Es sollte nicht darauf ankommen, wer man war, sondern was man zu leisten imstande war. In der von Marx und anderen angestrebten sozialistischen Gesellschaftsordnung (als Vorstufe zum Kommunismus) sollte der Grundsatz gelten: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“. Es wurde also nicht daran angeknüpft, was einer war, sondern welche Fähigkeiten er hatte und welche Leistung er erbrachte. Gesellschaftlicher Stand, aber auch Hautfarbe oder Geschlecht spielten hierbei keine Rolle.

Nun sind die Grünen inzwischen eher eine Partei des gut situierten Bürgertums als eine linke/marxistische/sozialistische Vereinigung (das behaupten allenfalls die Unionsparteien, um im Wahlkampf Angst zu schüren), doch einen Stadtheimatpfleger abzuwählen, obgleich er unstreitig eine gute Leistung erbracht hat, nur weil er keine Frau ist, ist nicht nur Sozialisten, sondern auch weiten Kreisen der Bevölkerung kaum zu vermitteln.

Das von Marx (und anderen) propagierte Leistungsprinzip hat sich in der Vergangenheit auch außerhalb der sozialistischen Gedankenwelt durchgesetzt. Es galt bisher in fast allen entwickelten Gesellschaftsordnungen. Und diese sind damit besser gefahren als mit dem früheren Standes- und Kastendenken. Viele Jahrzehnte lang stand die Leistung eines Menschen im Vordergrund. Man denke nur an Einstein und seine Relativitätstheorie, die Ordensschwester und Missionarin Mutter Teresa, die den Ärmsten der Armen half oder Albert Schweitzer, den Pazifisten, Arzt, Philosophen und Musikwissenschaftler, der als Urwaldarzt in Lambaréné ein Krankenhaus gründete. Das Leben dieser Persönlichkeiten war durch ihre Lebensleistung und nicht durch ihre Abstammung, ihr Geschlecht oder ihre Hautfarbe geprägt.

Menschen nach ihren Fähigkeiten zu beurteilen und einzusetzen, war jahrzehntelang Konsens. Nun wird davon leider – und hierbei sind Teile der Grünen federführend – wieder abgerückt. So wurde kürzlich einer äußerst qualifizierten Übersetzerin die Fähigkeit abgesprochen, Gedichte einer farbigen Amerikanerin übersetzen zu können, weil sie weiße Hautfarbe hat. Das ist ein schlimmer Rückfall in Zeiten des Kastendenkens.

Leider kein Einzelfall. Es werden vermehrt Gruppen definiert und diese dann abgestempelt. Da gibt es die “alten weißen Männer”, denen man fast die Existenzberechtigung abspricht.. Journalisten werden unabhängig von ihrer jeweiligen Qualifikation zur „Lügenpresse“ erklärt und in manchen Fällen gar verfolgt. Auch in Deutschland. Fleischesser meinen, sie müssten sich für ihre „perversen“ Ernährungsgewohnheiten entschuldigen. Raucher verkriechen sich in dunkle Ecken. Die SUV-Fahrer sind die Parias unter den Verkehrsteilnehmern (als VW-Busfahrer bin ich froh, dass der “Bulli” – was Fahrzeughöhe, Luftwiderstand und Verbrauch betrifft eigentlich der Urahn aller SUVs – von den Altlinken und Neubesserwissern ausgeklammert wird; vielleicht weil sie im Bus Gitarre gespielt, ihren Joint geraucht und erste erotische Erfahrungen gesammelt haben?), die pauschal verdammt werden: In den Zeitungen liest man vom „SUV-Fahrer“, der wegen überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abkam. Früher waren es die Porsche-Fahrer, deren Fahrzeugtyp benannt wurde. Ansonsten wird auf die Nennung des Fahrzeugtyps und des Herstellers zumeist verzichtet. Es passt dann halt nicht ins Klischee, wenn ein sturzbesoffener Lehrer in seinem Opel-Corsa gegen einen Baum knallt.

Zurück zum Ingolstädter Stadtrat: Ginge es nach den Grünen, müsste ein gebildeter, qualifizierter Stadtheimatpfleger seinen Hut nehmen, weil er keine Frau ist. Aber vielleicht könnte er auch nach Auffassung der Grünen im Amt bleiben, wenn er keine weiße Hautfarbe hätte und/oder schwul wäre?

Und: Sollten wir nicht auch daran denken, bei den großen Ingolstädter Museen (Stadtmuseum, Museum für Konkrete Kunst und Deutsches Medizinhistorisches Museum) eine Doppelspitze einzuführen. Die werden alle in alleiniger Verantwortung von einer Frau geführt. Wo bleibt da die Männerquote?

Für die Wutschreiber in den Sozialen Medien: Es ist nicht nicht alles ernst gemeint, was Sie gerade gelesen haben. Es soll in erster Linie zum Nachdenken anregen. Vielleicht versuchen Sie es mal damit, bevor Sie mich wütend beschimpfen und damit meinen Provokationen auf den Leim gehen.