Christian Lösel ist ein kluger Kopf und fleißig. Und er ist ein Zahlenmensch, der zu Ungeduld neigt. Warum wurde er abgewählt?
Es wäre völlig falsch zu behaupten, während der Amtszeit von Christian Lösel sei Ingolstadt nicht vorangekommen. Im Gegenteil: Der bisherige Oberbürgermeister hat viele Projekte auf den Weg gebracht, insbesondere viel für Ingolstadt als Wissenschaftsstandort erreicht. Auch Arbeitsmarktpolitik gehörte zu seinen Stärken.
Aber warum wurde er vom Wähler so abgestraft? Er selbst nennt in einem Interview mit dem Donaukurier den Fall Alfred Lehmann, die Flüchtlingskrise, den Betrugsskandal bei Audi und den krisenhaften Strukturwandel in der Automobilindustrie als Gründe. Mit dieser Einschätzung dürfte der sonst in der Analyse gute Lösel falsch liegen: Kaum ein Wähler dürfte von Lösels Wiederwahl Abstand genommen haben, weil Audi die Kunden betrogen hat und sich die Automobilindustrie in einem schwierigen Strukturwandel befindet. In solch schweren Zeiten neigen die Wähler vielmehr im Zweifel dazu, Amtsinhaber in ihrer Funktion zu bestätigen und eher konservativ als sozialdemokratisch zu wählen.
Was die Flüchtlingskrise betrifft, so waren davon alle Gemeinden in Bayern betroffen. Es war kein spezifisches Ingolstädter Problem und alle Bürgermeister in Bayern waren aufgerufen, zur Bewältigung beizutragen. Hier hat Ingolstadt keine Sonderstellung eingenommen, die sich zu Lösels Lasten hätte auswirken können.
Bleibt der Fall Lehmann. Richtig ist, dass Lehmann, CSU und Korruption hier vielfach in einem Zusammenhang genannt wurden. Doch musste sich das zwangsläufig negativ für den Amtsinhaber auswirken? Es scheint eher so zu sein, dass nicht der Fall Lehmann sondern vielmehr Lösels Umgang mit diesem Fall zu seiner Abwahl beigetragen haben. Kein Mensch wird beispielsweise beim CSU-Kreisverbandsvorsitzenden Alfred Grob auf die Idee kommen, ihn mit Korruption und Alfred Lehmann in Verbindung zu bringen. Im Gegenteil: Grob war Chef der Kriminalpolizei, als die Ermittlungen gegen Lehmann vor der Anklageerhebung geführt wurden. Er hat ohne Ansehen der Person Lehmann ermitteln lassen und darf als „Saubermann“ der CSU gelten. Er gilt somit in Sachen Korruption als völlig unbelastet und kann ein Garant für einen Neuanfang der Ingolstädter Christsozialen sein.
Dagegen hat sich Christian Lösel – möglicherweise unter dem zu starken Einfluss seiner Berater – anders verhalten: Während er im Falle des Klinikum-Geschäftsführers Heribert Fastenmeier, als gegen diesen Vorwürfe laut wurden, sofort durch Beauftragung einer Anwaltskanzlei und eines Wirtschaftsprüfers die Vorgänge untersuchen ließ, machte er im Falle Lehmann nichts. Im Gegenteil: Im April 2016 prügelten er und Albert Wittmann auf Christian Lange ein, als dieser den Beitritt zur Organisation Tranparency International forderte. Dieser Verein bemüht sich weltweit um die Eindämmung von Korruption. Zu diesem Zeitpunkt wussten Lösel und Wittmann bereits seit mehreren Monaten, dass im Klinikum wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt wird. Und weiter: Im Februar 2018, also mehr als ein Jahr vor Beginn der Hauptverhandlung gegen Alfred Lehmann, wurde die Anklageschrift gegen diesen bei Gericht eingereicht und damit publik. Die Anwälte der Stadt und des Klinikums, in deren Gremien Lösel saß, erhielten fortlaufend Akteneinsicht. Es ist daher davon auszugehen, dass Lösel bereits im Februar 2018, spätestens aber im April 2019 nach der Zeugeneinvernahme einer Polizistin wusste, dass Lehmann im sechsstelligen Bereich Beraterhonorare bezogen hat und das zum Teil von Firmen, die mit der Stadt im geschäftlichen Kontakt stehen/standen. Hätte er hier – wie im Fall Fastenmeier – das Rechnungsprüfungsamt, eine auswärtige Kanzlei oder eine Steuerberatungsgesellschaft damit beauftragt, zu überprüfen, ob sich diese bekannten Zahlungen auf die Geschäftsbeziehungen zur Stadt Ingolstadt ausgewirkt haben, wäre er nicht nur aus dem Schneider gewesen, sondern hätte sich als richtiger Aufklärer fühlen dürfen. Er hätte derartige Überprüfungen nicht einmal an die große Glocke hängen müssen, was ihm angesichts seiner politischen und persönlichen Nähe zum Amtsvorgänger Alfred Lehmann sicher schwer gefallen wäre. Es hätte gereicht, intern prüfen zu lassen. Als dann das Geschäftsgebaren von Alfred Lehmann Gegenstand der Berichterstattung in den Medien war, hätte er auf seine Prüfungen verweisen können und wäre dagestanden wie jetzt Alfred Grob.
Dem klugen und fleißigen Politiker Christian Lösel wurden aber vielleicht auch zwei weitere persönliche Eigenschaften zum Verhängnis: Er ist ein Macher, was natürlich positiv ist, dabei aber ziemlich ungeduldig. Das ist an sich nicht schlimm. Doch Lösel streifte dabei gelegentlich die Grenzen der Unhöflichkeit, wenn er bei Veranstaltungen, zu denen er eingeladen war und wo er repräsentieren musste, während der Vorträge anderer nicht vom Handy lassen konnte. Nutzlos rumzusitzen, das war nicht seine Sache. Er wollte die Zeit anderweitig nutzen. Manche haben ihn das aber sehr verübelt. Vielleicht wäre er vor der Erfindung des Handys nicht abgewählt worden.
Bevor er Oberbürgermeister wurde, war Christian Lösel Steuerberater. Da der Beruf den Menschen prägt und umgekehrt der Mensch den Beruf fühlt, der zu ihm passt, war er also ein Politiker, mit großer Affinität zu Zahlen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Damit war er eigentlich prädestiniert für das Amt des Oberbürgermeisters. Allerdings erweckte sein Umgang mit Zahlen und wirtschaftlichen Daten gelegentlich der Eindruck, als fehle es ihm an der Empathie, an der Anteilnahme im emotionalen Bereich. Lösel ging stets perfekt vorbereitet in Gespräche mit anderen. Vielleicht war das manchmal ein Nachteil, da er den Gesprächspartnern oft intellektuell und was den Kenntnisstand betrifft, überlegen war. Möglicherweise fühlten sich die Gesprächspartner deshalb gelegentlich nicht verstanden und ernst genommen. Insbesondere Berichte von Mitarbeitern der Stadtverwaltung könnten diesen Eindruck bestätigen. Lösels Stil, Gespräche sachlich und ohne erkennbare Emotionen wie eine Bilanzbesprechung zu führen, könnte sich nachteilig ausgewirkt haben.
Einen entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis dürfte auch die Art und Weise, wie seitens des bisherigen Oberbürgermeisters und seiner “Koalition” (CSU und Freie Wähler) Macht ausgeübt wurde, gehabt haben. Es wurde oft unter Missachtung der Sachargumente anderer “durchregiert”. Den Freien Wählern gelang es, nachdem sich der Repräsentant dieser Machtpolitik, Peter Springl aus der ersten Reihe zurückgezogen hatte, mit Hans Stachel den (wohl berechtigten) Eindruck zu erwecken, dass es hier einen Sinneswandel gebe. Unter Stachel zeigten sich die Freien Wähler offener und konnten binnen kürzester Zeit den Eindruck abstreifen, sie seien nur die machtpolitischen Mehrheitsbeschaffer der CSU.
Seitens der CSU blieb dagegen in der Öffentlichkeit und beim Wähler der Eindruck bestehen, hier werde auf arrogante Art und Weise Macht ausgeübt, es würde nach Gutdünken regiert und Sachargumente würden abgewürgt. Sepp Mißlbeck Ende letzten Jahres den Vorsitz im Sozialausschuss zu entziehen, damit die CSU/FW-Mehrheit gewährleistet ist, das ist ein eindrucksvolles Beispiel dieses Umgangs mit anderen Parteien und Gruppierungen. Leider hat Christian Lösel selbst im Wahlkampf dieses Block-Denken (Konfrontation zwischen “Koalition” und Opposition) noch herausgestellt. Ein Repräsentant dieser Ausrichtung wurde besonders hart abgestraft: Albert Wittmann hat wohl von allen CSU-Stadträten am meisten Stimmen verloren. Es ist nicht auszuschließen, dass Christian Lösel hier auch ein Opfer seiner Berater (Lehmann, Wittmann und anderer alter Haudegen einer früheren politischen Epoche) wurde.
Diese derbe Wahlniederlage wird den intelligenten und fleißigen Christian Lösel nicht ins Verderben stürzen. Er hat angekündigt, sein Stadtratsmandat anzunehmen. Rein theoretisch könnte er Fraktionsvorsitzender oder sogar weiterer Bürgermeister werden. Vielleicht geht er aber auch in sich und kommt zu dem Schluss, dass er mit seiner drängenden Ungeduld und wirtschaftlichen Orientierung als Spitzenmanager in der Wirtschaft besser geeignet ist als für das Amt eines Kommunalpolitikers. An entsprechenden Angeboten aus der Wirtschaft dürfte es nicht fehlen. Dort weiß man Lösels gute Eigenschaften sicher zu schätzen. Und einem Neuanfang der Ingolstädter CSU würde er damit auch nicht im Wege stehen.