Stadttheater abreißen! Kommentar von Hermann Käbisch

Ein wütender Starregisseur, neue Pläne für die Kammerspiele und das neue Rathaus am Hauptbahnhof sorgen für Unmut.

Das Ingolstädter Stadttheater, „dieses monströse Olympiastadion“, dieses „schrecklich überdimensionierte, kunst- und menschenfeindliche Haus“, würde Claus Peymann am liebsten zur Hälfte abreißen und dann die Kammerspiele hineinbauen. Das jedenfalls erzählte der frühere Intendant des Wiener Burgtheaters und des Berliner Ensembles, der zur Zeit als Gastregisseur durch die Lande tingelt, der Süddeutschen Zeitung (Ausgabe 26. August 2022). Der 85-Jährige hatte im Frühjahr am Ingolstädter Stadttheater Ionescos „Die Nashörner“ durchaus erfolgreich inszeniert, sich dabei aber mit Intendant Knut Weber und dem Betriebsrat überworfen. Peymanns Schimpfkanonade gegen Ingolstadt („unüberquerbare Straßen“, „von Audi regiert“) war laut SZ teilweise nicht zitierfähig.

Ungeachtet seiner architektonischen Ahnungslosigkeit hat der Star-Regisseurs dennoch ein heikles Thema der Ingolstädter Stadtpolitik angesprochen: Wohin mit den Kammerspielen, deren Bau gegenüber dem bisherigen Stadttheater durch Bürgerentscheid verhindert wurde. Es gibt Überlegungen, diese Spielstätte im Nordwesten der Stadt, in der Nähe des (oder im) Pius-Parks zu errichten. (Achtung Glosse:) Wer russische oder türkische Theaterstücke gern in der Originalsprache aufführen möchte, tut den dort lebenden Menschen damit einen Gefallen. Jedenfalls fühlt man sich als Deutsch-Sprechender in einem dort angesiedelten Einkaufszentrum fast in der Minderheit.

Industrie-Romantiker möchten mal wieder (das Museum für Konkrete Kunst und Design in der Gießerei-Halle mit seinen Problemen lässt grüßen) alte Hallen (im Südosten der Stadt) in Kammerspiele umfunktionieren. Zu allen Überlegungen, die Kammerspiele außerhalb der Altstadt zu platzieren, sei angemerkt: In der Spielzeit 2018/2019 (die letzte reguläre vor der Corona-Krise) kamen knapp 100.000 Besucher ins Stadttheater (Großes Haus) und mehr als 11.000 in die Werkstattbühne. Während der Jahre dauernden Renovierung des bisherigen Stadttheaters würden also mehr als 110.000 Besuche jährlich in der Innenstadt nicht stattfinden, wenn der Ersatzbau außerhalb der Altstadt errichtet wird.

Aber nicht nur die Errichtung der Kammerspiele außerhalb der Altstadt würde dem ohnehin von Leerständen geplagten Stadtzentrum schaden. Die Stadt selbst ist auf dem besten Wege, die Innenstadt weiter zu entvölkern: Im Ingolstädter Süden soll ein neuer Hauptbahnhof mit einem Büroturm entstehen. Insgesamt 11.000 m² Fläche werden gebaut. 15 Etagen des Hochhauses will die Stadt Ingolstadt für ihre Ämter (insbesondere Technisches Rathaus) anmieten. Dies bedeutet: Tausende Quadratmeter Büroflächen in der Innenstadt, von der Stadt bisher angemietet, werden leer stehen. Die Bürger sollen nicht mehr ins Zentrum, sondern zum Hauptbahnhof kommen. Ob die Zusammenfassung verstreuter Dienststellen in einem neuen Rathaus angesichts von Home Office, Vernetzung und digitaler Aktenführung, die ein räumliches Nebeneinander der Ämter nicht mehr erforderlich machen, heute noch sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Der Innenstadt schadet das Rathaus am Hauptbahnhof auf jeden Fall.