Was war: Die Goldenen Zwanziger? Ingolstadt vor 100 Jahren

Wie gut ging es Ingolstadt in den sogenannten Goldenen Zwanzigern – also vor einhundert Jahren. Eine kleine Serie – Teil 1: Ingolstadt vor 1933; aus Hans Fegerts Buch Ingolstadt im Dritten Reich (Bild: HansFegert)

Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir nachfolgend das erste Kapitel ais Hans Fegerts Buch Ingolstadt im Dritten Reich. Das Buch ist im Verlag Bayerische Anzeigenblätter GmbH erschienen (ISBN  978-3-9815852-2-3).

Ingolstadt vor 1933

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war Ingolstadt keine Garnisonsstadt mehr, was das Wirtschaftsleben in der Stadt auf das Empfindlichste beeinträchtigte. Im Dezember 1918 mussten die militärischen Betriebe Ingolstadts stillgelegt und die Anlagen für die Rüstungsproduktion unter Aufsicht einer alliierten Kontrollkommission unbrauchbar gemacht werden. 1919 waren exakt 27.357 Einwohner gemeldet, was sich in den darauffolgenden Jahren auch nur unwesentlich veränderte. Die beherrschenden Themen dieser Zeit waren: Arbeitslosigkeit, Hunger, Wohnungsnot und Inflation.

Zum einen fehlten die Soldaten, die einst so große Garnison verringerte sich auf ca. 600 Mann. Dies wirkte sich überwiegend auf das Braugewerbe aus – folglich mussten in dieser Zeit mehrere Brauereien und Gasthäuser den Betrieb für immer einstellen. Zum anderen waren in den beiden Rüstungsbetrieben der Stadt, dem Hauptlaboratorium und der Geschützgießerei mit insgesamt bis zu 25.000 Beschäftigten, mangels neuer Aufträge Massenentlassungen die Folge. Glücklicherweise fand ein großer Teil dieser Arbeitslosen in der bis 1918 als Reservelazarett genützten Hauptwerkstätte zur Reparatur von Lokomotiven und Rollmaterial eine neue Beschäftigung. Infolge der hohen Arbeitslosigkeit bekam die kommunistische Partei stetig mehr Zulauf. Am 22. Mai 1918 erfolgte der „Rathaussturm“ dessen Auslöser zunächst ziemlich banal war. Ein Gendarm nahm einen Arbeiter, der eine 7tägige Strafe abzusitzen hatte, fest und führte diesen gefesselt in die Polizeiräume des Rathauses. Mehrere Passanten beobachteten diesen Vorfall und protestierten lauthals dagegen. In Windeseile gesellten sich zahlreiche aufgebrachte Menschen dazu, was schließlich dazu führte, dass die Fensterscheiben der Polizeiwache mit Steinen eingeschlagen wurden. Daraufhin setzte man den Festgenommenen wieder auf freien Fuß. Doch die protestierende Menge war nicht mehr zu bremsen, etwa 200 Personen stürmten das Rathaus. In ihrer blinden Zerstörungswut zerschlugen die Demonstranten Fenster und Türen, rissen Aktenordner aus den Regalen, Mobiliar wurde zerschlagen und schließlich in mehreren Räumen ein Feuer gelegt. Die Feuerstellen konnten zwar schnell wieder unter Kontrolle gebracht werden, doch Plünderungen waren nicht mehr zu verhindern. Erst gegen Mitternacht bekamen die Einsatzkräfte der herbeigerufenen Infanterie die Lage wieder in den Griff – der angerichtete Schaden war jedoch beträchtlich.

Nach der Revolution 1919 nahmen die politischen Versammlungen ständig zu und waren zum Teil wegen ihres brisanten Charakters sogar gefürchtet. Unruhen, Streiks und Richtungskämpfe, auf denen es sogar zu größeren Gewalttätigkeiten kam, waren an der Tagesordnung. Als Spätfolge des Ersten Weltkrieges legte dann die Weltwirtschaftskrise von 1923 die heimische Wirtschaft, wie den Handel und das Handwerk, nahezu vollständig lahm. Die Preise für Lebensmittel stiegen ins unermessliche, weshalb diese für den „Otto Normalverbraucher“ unerschwinglich geworden sind, zumal deren Einkommen auf einem Tiefpunkt stand. An allen Ecken und Enden musste gespart werden, ganz besonders jedoch beim Essen und Trinken. So kletterte z. B. im November 1923 allein das Inlandsporto für einen Brief von ursprünglich 10 Pfennig auf 50 Millionen Mark und die Maß Bier kostete zu diesem Zeitpunkt bereits stolze 500 Milliarden Mark. Im Juni 1923 betrug der Preis für ein Hühnerei stolze 800 Reichsmark, bis zum Höhepunkt der Inflation im November 1923, war der Eierpreis auf 320 Milliarden RM angestiegen. Ein weiters Beispiel dieser Hyperinflation zeigt der Bau des Ingolstädter Pionierdenkmals am Brückenkopf. Zu Baubeginn im Januar 1923 stand der tarifliche Stundenlohn bereits bei 1551.- RM, demnach sollte das Denkmal etwa 9 Millionen Mark kosten. Doch die Löhne bewegten sich täglich nach oben, wodurch nach der Fertigstellung am 22. Juni 1923 die Endabrechnung stolze 23 Millionen RM offenbarte. Vergleicht man dies wiederum mit dem Eierpreis vom November, dann war das Pionierdenkmal sogar noch ein echtes „Schnäppchen“. Um dieser rasenden Geldentwertung her zu werden, behalfen sich die Kommunen schließlich mit Notgeldscheinen.

Das Jahr 1924 stand ganz im Zeichen der Wahlen. Zuerst am 6. April die Landtagswahl, dann am 5. Mai die Reichstagswahl und schließlich am 7. Dezember die Kommunalwahl. Bei den ersten beiden Wahlen ging der „Völkische Block“ noch als klarer Wahlsieger hervor. Dies änderte sich jedoch bei der Ingolstädter Kommunalwahl bei einer Mehrheit von 3402 Stimmen zugunsten der christlich demokratisch orientierten „Bayerischen Volkspartei“ (BVP). Die „Völkischen“ wurden mit 3228 Stimmen auf Platz zwei verwiesen und die „Kommunisten“ landeten mit 1741 Stimmen auf dem dritten Platz. Die „Christlich-demokratische Volkspartei“ und der rechtsgerichtete „Völkische Block“ war erst am 6. Januar 1924 nach dem Verbot der NSDAP gegründet worden. Die Wahlergebnisse der rechten und linken Parteien waren in erster Linie der hohen Arbeitslosigkeit zuzuschreiben, trotzdem war die „Bayerische Volkspartei“ bis 1933 die führende Kraft in Bayern. An der Ingolstädter Stadtspitze stand bereits seit dem 1. Juli 1920 der aus Neumarkt stammende Oberbürgermeister Dr. Friedrich Gruber von der BVP. Sein Vorgänger, der seit 1896 amtierende Oberbürgermeister Jakob Kroher war zur ersten Wahl nach dem Ersten Weltkrieg im Jahre 1919 nicht mehr angetreten.

In Grubers Amtszeit traten zusammen mit dem seit 1919 tätigen Stadtbaurat Schwäbl städtebaulich wichtige Änderungen ein. So wurde an verschieden Stellen erstmals der Wall durchbrochen, wie z. B. am Rechberg, wodurch eine Verbindungsstraße zum Nordbahnhof entstanden ist. Um eine Stichstraße aus der Altstadt zur Rechbergstraße zu gewinnen, wurde der Torbogen an der Proviantstraße erweitert. 1921 fand auch am Taschenturm der Durchbruch des seit Jahrhunderten zugemauerten Tores statt. Da aus den bereits vor dem 1.Weltkrieg stammenden Plänen, die Pferdebahn durch eine elektrische Straßenbahn zu ersetzen nie in die Tat umgesetzt wurde, entschied sich der Stadtrat im Jahr 1921 zukunftsweisend für einen Omnibusbetrieb, der jedoch von privater Hand betrieben wurde.

Nach der Inflation 1923 wurden im Norden der Stadt im Bereich Nürnberger-, Laboratoriumsstraße mehrere Baugrundstücke für neue Wohnhäuser erschlossen. Im Josefsviertel hatte die Stadt das Areal am ehem. Pionierübungsplatz samt der dortigen Notbaracken („Barackenviertel“) erworben um dort mit dem Bau der ersten 22 Doppelhäuser für kinderreiche Familien in die Wege zu leiten. Im Jahr 1925 errichtete die Stadt im Luitpoldpark einen Holzbau und verpachtete diesen als „Städtisches Parkcafé“. Und 1926 erfolgte der lang ersehnte Bau der St. Josef Schule. Im Süden erwarb die Stadt bei der Ochsenschlacht 28 Tagwerk Grund für einen künftigen Siedlungsbau. Auch die Entstehung der St. Anton Kirche mit dem entsprechenden Schulhausneubau, die Einrichtung einer Jugendherberge in der Flandernkaserne, das Steyler Missionshaus (heute wirtschaftswissenschaftliche Fakultät) und der Sparkassenbau (ehem. Höllbräuanwesen) am Rathausplatz fallen in die „goldenen“ zwanziger Jahre der Ära Gruber zurück.

In OB-Grubers letzter Amtsperiode wurden noch der Umbaupläne für das Stadttheaters in die Tat umgesetzt. Der erst 1874 erbaute Musentempel an der Südseite des Rathausplatzes wurde im Jahre 1929 dem damaligen Zeitgeist entsprechend, in einen neoklassizistischen Stiel umgebaut. Die Freude am neuen Glanz war jedoch von kurzer Dauer, denn nur 16 Jahre später, am 9. April 1945 fiel das damalige Stadttheater einem verheerenden Bombenhagel zum Opfer.

Grubers größte Errungenschaft war jedoch 1926 der Abschluss eines Pachtvertrages mit dem Festungskommandanten zur Überlassung der Clacisanlagen. Der einst militärische Grüngürtel um die Stadt wurde in der darauffolgenden Zeit von der Stadtgärtnerei zu einer Parkanlage umgestaltet. Seine größte Fehleinschätzung dagegen war, dass er die Ingolstädter Schriftstellerin Marie Luise Fleißer im Jahre 1929 nach der Skandal auslösenden Berliner Aufführung ihrer „Pioniere in Ingolstadt“ öffentlich gedemütigt hatte.

Im Februar 1930 stand die Wiederwahl des damaligen Oberbürgermeisters Gruber an, doch der Stadtrat verlängerte dessen Dienstvertrag nicht mehr und schrieb das Amt eines rechtskundigen Bürgermeisters neu aus.