Ehekrise ohne Ehe

(hk) Neun Monate im Amt: Oberbürgermeister Christian Scharpf ist gradlinig bei der Einhaltung seiner Wahlversprechen aber auch überaus empfindlich und leicht reizbar.

Im Wahlkampf hatte Christian Scharpf u.a. versprochen, sich dafür einzusetzen, dass Ungleichheiten bei der Bezahlung im Klinikum beseitigt werden. Das hat er als Oberbürgermeister schnell und mit großer Tatkraft umgesetzt. Das neue Stadtoberhaupt muss sich also nicht vorwerfen lassen, seinen Worten nicht Taten folgen zu lassen.

Allerdings darf man Christian Scharpf angesichts einiger wütender Äußerungen bei Facebook oder in einem öffentlichen Brief auch daran erinnern, was er im Vorfeld der Wahl und auch vor der Wahl der weiteren Bürgermeisterinnen über sein Verhältnis zu den Parteien gesagt hat: Im Wahlkampf hat Scharpf stets erklärt, dass er keine Koalitionen anstrebe und sich von Fall zu Fall seine Mehrheiten suchen werde. Im Zusammenhang mit der Wahl der weiteren Bürgermeisterinnen, die ja nicht von ihm ernannt, sondern vom Stadtrat gewählt wurden, stellte er klar, dass es keine Koalition mit der CSU oder den Grünen geben werde, nur weil deren Repräsentantinnen künftig die Ämter der weiteren Bürgermeisterinnen innehaben würden.

Im Augenblick lassen Äußerungen des Oberbürgermeisters vermuten, dass er speziell gegenüber der CSU (die im Augenblick möglicherweise sehr mit sich selbst befasst ist, weil es verschiedene Strömungen gibt, die schwer unter einen Hut zu bringen sind) Erwartungshaltungen aufgebaut hat, die im Widerspruch zu seinen Äußerungen stehen. Wer erklärt, dass er sich von Fall zu Fall seine Mehrheiten suchen werde, sollte sich nicht allzu sehr darüber aufregen, wenn eine Partei (im konkreten Fall die CSU) nicht seiner Meinung ist. Scharpf erweckt bei einigen seiner Äußerungen auf Facebook und in einem öffentlichen Schreiben an die CSU-Fraktion, das er am Samstagabend publiziert hat, den Eindruck als gebe es mit der CSU eine Ehe, die sich in einer Krise befinde. Erstaunlich dünnhäutig reagiert das Stadtoberhaupt in einer eigentlich harmlosen Sache:

Die CSU (!) hatte einen Antrag eingebracht, dem sich die Grünen mit einem Zusatzantrag angeschlossen hatten. Es geht darum, das Schicksal Ingolstädter NS-Opfer zu erforschen und zu dokumentieren. Aufgrund des CSU-Antrages gab es im Personalausschuss eine Vorlage der Verwaltung, die vorsah, dafür zwei Halbtagsstellen zu schaffen. Das passte der CSU in Gestalt von Hans Süßbauer (also den Antragstellern) nicht. Süßbauer als Repräsentant der CSU wollte wohl, dass die Erforschung ohne zusätzliche Stellen und Kosten erfolgen solle. Darüber geriet Christian Scharpf offensichtlich so in Rage, dass er auf seinem Account bei Facebook postete:

Peinlich, kleingeistig und zutiefst provinziell.

Schade, wenn sich bei einer Partei der Horizont offenbar nur noch auf „Verwaltungsstellen“ erstreckt und dadurch der dahinter stehende Wert und Mehrwert in den Hintergrund gedrängt wird. Buchhalter und Rechnungsprüfer habe ich genug in der Stadtverwaltung. Im Stadtrat sind Impulse gefragt, die die Stadt voranbringen.“

Dies (der Vorwurf des beschränkten Horizonts) wiederum brachte Hans Süßbauer auf die Palme, der zurückkeilte:

Ich bedaure, dass Ihre beleidigenden Aussagen über FB kommen. Die geringschätzigen Aussagen gegenüber der CSU, wenn auch nur indirekt, zeigt (zeigen) Ihre persönliche Einschätzung. Die gute Stimmung im StR loben und (bei) FB Stimmung machen. Ich finde diese Vorgehensweise für einen OB der Stadt Ingolstadt daneben. Ich will nicht weiter auf FB diskutieren. Sie sollten ihre Aussagen nicht auf FB artikulieren, sondern in den entsprechenden Gremien.“

Das Ganze mag sich vor oder hinter den Kulissen noch mehr hochgeschaukelt haben. Jedenfalls platzte Christian Scharpf am Samstagabend offensichtlich der Kragen und er verfasste wütend ein offenes Schreiben an die CSU-Fraktion im Ingolstädter Stadtrat (siehe unten). Was darin zu lesen ist, erinnert an einen enttäuschten Liebhaber oder zumindest an Szenen einer politischen Ehe, die es nach den Aussagen von Christian Scharpf nicht gibt:

Nach der Kommunalwahl ist die CSU im Mai auf eigenen Wunsch in die Stadtspitze eingetreten. Ich habe von Anfang an eine Mitwirkung der CSU in der Stadtspitze befürwortet und für entsprechende Mehrheiten geworben, denn mein erstes Bestreben war, die tiefen Gräben im Stadtrat aus der alten Amtsperiode zuzuschütten und für ein besseres Klima zu sorgen. Ich dachte das geht am besten, in dem man die vorher Verantwortlichen einbindet und eine für alle Parteien offene Zusammenarbeit anstrebt. Ich war zunächst hoffnungsfroh, dass auch in der CSU mit Alfred Grob und Dr. Dorothea Deneke-Stoll ein politischer Neuanfang gelingt. Das war leider ein Trugschluss….

Im Stadtrat wird dann so getan, dass man selbstverständlich hinter dem Vorhaben (Anm.: Erforschung der Schicksale der NS-Opfer) stehe, aber in Wahrheit würden Teile der Fraktion am liebsten – wie die Sitzung des Konsolidierungsrats gezeigt hat – nur Pflichtaufgaben verwalten. Das ärgert mich und ich habe keine Lust mehr, die kommenden Monate und Jahre damit beschäftigt zu sein „Glutnester“ auszutreten, die die mitregierende (Anm.: Aber hallo! Es gibt keine Stadtregierung nach der Bayerischen Gemeindeordnung und laut OB auch keine Koalitionen, somit kein „Mitregieren“) CSU (oder Teile davon) vorher gelegt hat….

Die Zusammenarbeit in der Stadtspitze hat auch etwas mit gegenseitigem Vertrauen zu tun. So wie die CSU jetzt agiert wäre es besser gewesen, sie hätte – bei aller größter persönlichen Sympathie, fachlichen Wertschätzung und bei allem hohen Respekt für Frau Dr. Deneke-Stoll – niemanden in die Stadtspitze entsandt, denn beides geht nicht: In der Stadtspitze vertreten sein wollen, aber als Fraktion in für den Oberbürgermeister wichtigen Fragen ständig auf Opposition (Anm.: Laut Gmeindeordnung gibt es keine „Opposition“. Und wer sagt, er suche sich im Einzelfall die Mehrheiten, darf Unwillige nicht einer „oppositionellen Haltung“ bezichtigen) zu gehen. Das passt auf Dauer nicht zusammen...“

(Anm.: Hervorhebungen durch die Redaktion)

Erstaunlicherweise beschränkt sich Christian Scharpf nicht darauf, die Zusammenarbeit mit der CSU zu kritisieren. Er geht sogar soweit, sich mit der Identitätsfrage (die die CSU auf Ingolstädter Ebene im Augenblick wohl selbst nicht beantworten kann) der Christlich-Sozialen zu befassen. Scharpf wörtlich: „… frage ich mich seitdem, wofür die CSU in dieser Amtsperiode eigentlich steht?“

Diese Äußerungen dürften die Zusammenarbeit im Stadtrat nicht gerade vereinfachen. Kaum fassbar ist insbesondere, dass sich der Oberbürgermeister gerade von denen, die in der CSU für die krachende Niederlage bei der letzten Kommunalwahl verantwortlich sind (zum Beispiel Albert Wittmann und Hans Süßbauer als ehemals maßgebliche Wahlkampfstrategen) provozieren lässt und über jedes noch so absurde Stöckchen, das sie ihm hinhalten (Stellenabbau in der Verwaltung, Streit um Kosten eines von der CSU selbst eingebrachten Antrags), pflichtgemäß springt und sich öffentlich und wenig souverän aufregt. Er erschwert damit denen in der CSU, die für einen sachlichen Kurs plädieren und kooperativ im Stadtrat mitarbeiten wollen, die Arbeit. Indirekt unterstützt Scharpf die Hardliner in der CSU, die am liebsten zu dem Stil zurückkehren möchten, den die CSU in den letzten Jahren bis zur Kommunalwahl gepflegt hat. Im Interesse der Stadt ist das nicht.

Randnotiz: Christian Lösel und Sepp Mißlbeck geben gern Auskunft darüber, wie es ist, wenn ein weiterer Bürgermeister und der Oberbürgermeister nicht (mehr) einer Meinung sind.

Hier das öffentliche Schreiben von Christian Scharpf:

OB-CSU 6.2.2021