Labor statt Leichen – was Pathologen wirklich (hauptsächlich) tun

Wenn Krimi-Fiktion auf die Realität trifft. Ein Besuch bei den Ingolstädter Pathologen.

Man nehme einen ortsüblichen Anlass wie eine Jubiläumsfeier oder ein Konzert. Es entsteht ein Gespräch und irgendwann taucht die Frage auf: „Und was machen Sie beruflich?“ Es folgt die Antwort: „Ich bin Pathologe.“ Oha! Vermutlich hat der Fragende mit dieser Antwort nicht gerechnet. Die Reaktionen darauf beschreibt Pathologin Prof. Dr. med. Eva Geißinger, die zusammen mit Dr. med. Brigitte Popp und Prof. Dr. med. Patrick Adam die Praxis „Pathologie Ingolstadt“ im Ärztehaus am Klinikum betreibt, folgendermaßen: „Entweder es heißt ‘Oh, spannend’ oder ‘das muss ja auch jemand machen’“. Im Kopf des (ahnungslosen) Gesprächspartners entsteht dabei das Bild eines etwas seltsamen Mediziners, der irgendwo in einem fensterlosen, eiskalten Keller den Brustraum einer Leiche öffnet und kryptische Bemerkungen in ein Diktiergerät nuschelt, weil er gerade Spuren eines Mordes entdeckt hat. Soweit das Image, das über Kriminalromane und Filme transportiert wird. Mit Pathologie hat das aber kaum etwas zu tun.

Ja, Pathologen führen Obduktionen durch. Aber das war es auch schon. Sie sind nicht als „Mordermittler“ im Einsatz und werden schon gar nicht vom Kommissar mit einer solchen Untersuchung beauftragt. Wenn im Krimi also der Ermittler einen Pathologen noch dazu am Tatort nach der Todeszeit des Opfers befragt, dann spricht er eigentlich mit dem Rechtsmediziner. Alle unnatürlichen und ungeklärten Tode werden nämlich ausschließlich von diesen untersucht. „Gerichtsmedizin und Pathologie sind unterschiedliche Facharztausbildungen. Wir lernen beispielsweise gar nicht, einen Schusskanal zu vermessen. Dafür sind Rechtsmediziner nicht darauf spezialisiert, Tumore zu analysieren,“ erklärt Eva Geißinger. Wer was warum untersucht, liegt damit auch an den jeweiligen Umständen und Verdachtsmomenten: „Ein 30-Jähriger, der tot im Bett liegt, ist eher ein Fall für die Rechtsmedizin.“

Die Oma war immer ganz gesund“

Besteht kein Verdacht auf ein Verbrechen, aber die Klärung der Todesursache ist dennoch wünschenswert, dann sind die Pathologen gefragt, etwa wenn es um mögliche unentdeckte Vorerkrankungen eines Verstorbenen geht. Hier können Versicherungsfragen eine Rolle spielen, die durch Gutachten geklärt werden müssen, wenn zum Beispiel die Frage nach berufsbedingten Erkrankungen durch Belastungen durch Gefahrstoffe (war der Verstorbene Asbest ausgesetzt?) im Raum steht. Auch die Untersuchungen von Totgeburten gehören zur Arbeit der Pathologen. „Verstirbt ein Patient bei einer OP, schaltet der Chirurg in der Regel den Staatsanwalt ein, um eine Obduktion zu veranlassen und damit Missverständnisse auszuräumen, “ erklärt Prof. Dr. med. Patrick Adam. „Es geht auch darum, eine mögliche spätere Exhumierung zu vermeiden.“ Eine verpflichtende Obduktion nach dem Tod im Krankenhaus, wie sie in Österreich besteht, gibt es in Deutschland nicht. Patrick Adam würde sie begrüßen, auch um im Nachhinein zum Beispiel die Wirksamkeit oder Nicht-Wirksamkeit von Medikamenten oder Therapien zu erforschen. Außerdem hätten die Angehörigen dadurch endgültige Gewissheit, was die Todesursache betrifft.

Arbeiten hauptsächlich am Mikroskop und nur gelegentlich am “leblosen Körper”: Prof. Dr. med. Eva Geißinger, Prof. Dr. med. Patrick Adam und Dr. med. Brigitte Popp

In Bayern gilt die Zustimmungsregelung. Das heißt, niemand kann gegen seinen Willen obduziert werden. Grundsätzlich kann eine Obduktion also auch verweigert werden – entweder durch eine entsprechende schriftlich hinterlassene Erklärung oder auch eine mündliche Anweisung an die Angehörigen. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen ein übergeordnetes Interesse an der Klärung einer Todesursache vorliegt. Das ist der Fall, wenn beispielsweise der Verdacht auf eine Seuche wie Ebola besteht. Ein Nein gilt hier nicht.

Auch Privatleute können Obduktionen in Auftrag geben. Das komme zwar selten vor, aber vier bis fünfmal im Jahr möchten Angehörige „auf eigene Kosten“ Klarheit über die Todesursache eines Menschen bekommen, so die Ingolstädter Pathologen. Den Satz „Die Oma war immer ganz gesund“ müsse man dann mitunter relativieren, wenn sich im Nachhinein ein schwerst angeschlagenes Herz heraus stellten.

Leichenschau ist wie eine große OP

Hat der Pathologe nun einen Leichnam vor sich, dann erfolgt die Leichenschau. „Wir öffnen die drei Körperhöhlen (Schädel, Brust und Bauch Anm.d.Red.), besichtigen den Zustand der Organe und verschließen die Körperhöhlen anschließend wieder,“ erklärt Dr. med. Brigitte Popp den Ablauf einer Obduktion, „das ist wie eine große OP.“ Besonders emotional wird es auch für erfahrene Pathologen (und da dürfte es auch den Rechtsmedizinern nicht anders gehen), wenn sie ein verstorbenes Kind untersuchen. „Hier wird manchmal von den Eltern eine ganz gezielte Obduktion gewünscht,“ so Eva Geißinger. Der kleine Körper solle möglichst wenig in Mitleidenschaft gezogen werden.

Nach etwa einer Stunde ist der Eingriff bei einem Erwachsenen (ohne große Vorerkrankungen oder Verwachsungen) erledigt, die Einschnitte werden wieder vernäht. Dass ein obduzierter Leichnam danach wie ein „Untoter“ aus einem Zombiefilm aussehen könnte, gehört ins Reich der Horrorlegenden. Pathologen haben es eben immer wieder mit Vorurteilen zu tun, die sich aus fiktionalen „Neu-Interpretationen“ speisen und nicht aus der Realität. Diese ist für Film, Fernsehen und Co. vermutlich zu unspektakulär. Im wahren Leben wird auch kein Rechtsmediziner (und schon gar kein Pathologe) an einem Tatort gleich noch den Job der Spurensicherung übernehmen und vielleicht noch selbst ermitteln. Trotz aller Ungenauigkeiten, die es auch in beliebten Krankenhausserien gibt, ist Patrick Adam begeisterter „Dr. House“ Gucker und Eva Geißinger liest weiterhin gerne Krimis.

Lotse der Medizin statt Mordermittler

Den „Patienten“, mit denen es ein Gerichtsmediziner zu tun hat, ist in der Regel – so grausam es klingt – nicht mehr zu helfen. Schließlich geht es um die Ermittlung der Todesursache. Pathologen hingegen retten durchaus Leben oder tragen dazu bei, diese zumindest zu verlängern, weil ihre Untersuchung z.B. den behandelnden Ärzten Klarheit über eine Erkrankung verschafft hat. Wie ein Lotse könne man so den richtigen Kurs zur weiteren Behandlung vorgeben. „Wenn ein Patient ein Jahr lang von Pontius zu Pilatus geschickt wird und niemand etwas findet und wir dann die Ursache für seine Erkrankung entdecken, dann ist das sehr erfüllend,“ sind sich die Spezialisten einig.

Den zirka 50 Obduktionen im Jahr stehen in der Ingolstädter Pathologie Praxis allein 45 000 histologische, also feingewebliche Untersuchungen gegenüber. Dazu kommen mehrere tausend weitere hinzu, die sich beispielsweise mit Körperflüssigkeiten (Zytologie) befassen oder dem Bereich der Gynäkologie zuzuordnen sind. Die Proben, die aus der gesamten Region Ingolstadt stammen und unter das Mikroskop der Pathologen kommen, können so winzig sein, dass man sie mit bloßem Auge fast nicht sieht. Es kann sich aber auch eine komplett entnommenen Gebärmutter handeln.

Nun könnte es doch sein, dass bei all diesen Untersuchungen so ganz nebenbei und aus Versehen doch ein Mordfall aufgedeckt worden ist? Eva Geißinger, Brigitte Popp und Patrick Adam verneinen. Zumindest während ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn ist ihnen so eine Entdeckung noch nicht untergekommen.

Und wie tickt er so, der Pathologe?

Ob nun Rechtsmediziner oder fälschlich als Pathologe bezeichnet – im Krimi scheinen das ja immer äußerst skurrile Zeitgenossen zu sein. Was ist da dran? „Als Pathologe entscheidet man sich, viel Zeit zwischen Büchern und Mikroskop zu verbringen,“ schmunzelt Patrick Adam und ergänzt: „Man hat ja wenig Kundschaft.“ Direkten Kontakt zum Patienten oder Angehörigen von Verstorbenen haben die Spezialisten nur ganz selten, dafür sind die Diskussionen über Untersuchungsergebnisse um so intensiver. 12 Jahre Ausbildung sind für diese Fachrichtung nötig, weil die Experten für den gesamten Menschen zuständig sind – von der Haarspitze bis zum großen Zeh. Das mache den Beruf auch so faszinierend. „Der klassische Pathologe ist begeistert von seinem Fach“, meint Prof. Adam. Jede Analyse ist wie eine neue Forschungsreise mit offenem Ausgang: „Man wünscht sich immer, dass es nichts Schlimmes ist.“