Update: Posten: jagen und vergeben

Update:Welchen Einfluss hat der künftige Oberbürgermeister Christian Scharpf auf die Vergabe von Posten. Welchen will er haben? Machtwort-Mail Christian Scharpf!Christian Scharpf verhandelt mit anderen Parteien/Gruppierungen über die Zusammenarbeit. Eigentlich geht es um Sachfragen. Aber in die Öffentlichkeit dringen sofort anstehende Personalentscheidungen. Da warf schon einmal Petra Kleine ihren Damenhut in den Ring, bevor die Gespräche zwischen der SPD und den Grünen überhaupt begonnen hatten: Bürgermeisterin will sie werden. In der CSU geht man offensichtlich ganz selbstverständlich davon aus, das Amt des zweiten Bürgermeisters zu erhalten und diskutiert die Kandidatenfrage. Bei den Freien Wählern wird zwar Hans Stachel als möglicher Bürgermeister genannt, doch die verhalten sich ziemlich zurückhaltend. Vielleicht ein Erfolgsrezept.

Wenn sich voraussichtlich im Mai der neue Stadtrat konstituiert, steht die Wahl des zweiten und dritten Bürgermeisters an. Ferner muss Christian Siebendritt in seinem Amt bestätigt oder (was derzeit wahrscheinlicher ist) durch einen Nachfolger als Referent (Berufsmäßiger Stadtrat) ersetzt werden.

Dies erfolgt jeweils in geheimen Abstimmungen im Stadtrat. Kein Mensch kann also kontrollieren, wer wie gewählt hat. Damit besteht die unglaubliche Chance, alte Rechnungen zu begleichen. “Erkennbar gebunden” ist keiner der wählenden Stadträte. Daran sollten die, die in den Ring steigen wollen, denken.

Welchen Einfluss hat der künftige Oberbürgermeister auf diese Wahlen? Direkt überhaupt keinen. Was der einzelne Stadtrat wählt, entzieht sich seiner Kenntnis. Selbst wenn also eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien/Gruppierungen geschlossen wird, so ist dies keine Garantie.

Nun hat Christian Scharpf auch stets betont, dass er keine „Koalitionen“ schmieden wolle. Die sind, darauf hat er in einer Pressemitteilung auch ausdrücklich hingewiesen, in der Bayerischen Gemeindeordnung gar nicht vorgesehen. Also möchte er sich offensichtlich darauf konzentrieren, zwischen der SPD und anderen Parteien/Gruppierungen Vereinbarungen über Sachfragen zu erzielen. Dabei ist das Ziel nicht, mit zwei oder drei anderen Parteien/Gruppierungen alle anstehenden Probleme zu lösen, genauer gesagt: dafür Mehrheiten zu beschaffen. Nach Scharpfs Vorstellung ist vielmehr davon auszugehen, dass die SPD mit mehreren unterschiedlichen Parteien/Gruppierungen verschiedene Vereinbarungen schließen wird, also das vereinbarte Abstimmungsverhalten in einer Vereinbarung nicht alle Punkte umfasst. So könnte es beispielsweise in Sachen ÖPNV eine Vereinbarung mit den Grünen, der CSU und kleineren Parteien/Gruppierungen geben. In Sachen Förderung des Mittelstandes könnte demgegenüber eine Vereinbarung mit der CSU und den Freien Wählern geschlossen werden. Mit anderen Worten: Das Konzept des künftigen Oberbürgermeisters sieht wechselnde Mehrheiten vor. Das hat Scharpf auch öffentlich so dargestellt.

Was bedeutet dies für die Wahl der weiteren Bürgermeister und Referenten? Wenn die SPD mit Scharpf an der Spitze wirklich nur Vereinbarungen über Sachfragen abschließen möchte und wechselnde Mehrheiten vorgesehen sind, schließt dies eigentlich eine Vereinbarung über die Wahl von Bürgermeistern oder Referenten aus. So gesehen ist die Äußerung des künftigen Oberbürgermeisters, wonach die Grünen bei der Bestellung der weiteren Bürgermeister „gesetzt“ sein, höchst irritierend. Zumal noch nicht einmal eine Vereinbarung mit den Grünen über Sachfragen erzielt wurde. Ist die sicher? Und Scharpf weiß ja, dass nicht er die Posten vergibt, vielmehr der Stadtrat in geheimer Wahl bestimmt, wer Bürgermeister oder Referent wird. Wie soll da jemand “gesetzt“ sein?

Es ist also durchaus vorstellbar, dass dann, wenn die „gesetzten“ Grünen Petra Kleine präsentieren, die Freien Wähler Hans Stachel als Gegenkandidaten ins Rennen schicken. Und dann wird es wirklich spannend:

Nach dem derzeitigen Bild, das die Grünen vermitteln, würde deren Spitzenpolitikerin Petra Kleine vermutlich maximal sechs von acht möglichen Stimmen aus der eigenen Fraktion erhalten. Zu tief sind wohl parteiinterne Gräben. Selbst wenn Rupert Ebner auf sein Stadtratsmandat verzichtet, was er angekündigt hat, könnte sich an dieser Situation möglicherweise nichts ändern.

Unterstellt man, dass alle Sozialdemokraten und deren Oberbürgermeister für Kleine stimmen, so wären das erst 16 Stimmen. Das Verhältnis zwischen Petra Kleine und den Mandatsträgern der Linken soll auch nicht so sein, dass sie hier ganz beruhigt auf zwei weitere Stimmen hoffen könnte. Auch bei der FDP und der Jungen Liste sind Zweifel angebracht. Bleiben die Bürgergemeinschaft, die UDI und die ÖDP. Das reicht nicht.

Anders könnte sich die Situation darstellen, wenn als zweiter Bürgermeister oder Bürgermeisterin vorher eine Kandidatin oder ein Kandidat der CSU “erkennbar“ auch mit Stimmen der Grünen gewählt worden sein sollte und sich daher die Konservativen (oder zumindestens Teile davon) verpflichtet fühlen sollten, zumindest als dritte Bürgermeisterin Petra Kleine zu wählen.

Aber auch die Wahl des zweiten Bürgermeisters ist für keine Partei ein Selbstläufer. Ob die zweifellos bestens qualifizierte Dorothea Deneke-Stoll (CSU) so ohne weiteres gewählt würde? Sie galt im bisherigen Stadtrat in manchen Fragen durchaus als Hardlinerin der CSU. So hört man aus den Reihen der bisherigen „Opposition“, man habe sich von der CSU-Stadträtin, die eine bekennende evangelische Christen ist, in Sachen Migration durchaus mehr erhofft. Auch bei der Abschaffung des Livestreams war es die Juristin, die als erste für die CSU erklärte, sie wolle künftig nicht mehr, dass ihre Redebeiträge übertragen würden. Der Direktorin des Amtsgerichts Ingolstadt dürften zwar 13 Stimmen der CSU-Fraktion einigermaßen sicher sein. Doch schon bei der Jungen Liste beginnen die Zweifel. Unterstützung von den Freien Wählern dürfte sie erhalten, wenn die CSU ihrerseits erklärt (woran sie Christian Scharpf und die Sozialdemokraten nicht hindern können) Hans Stachel bei seiner Kandidatur umgekehrt zu unterstützen. So könnte es durchaus kommen.

Und was passiert eigentlich, wenn  – ohne ungültige Stimmen – Hans Stachel mit mehr als 25 Stimmen gewählt würde und man nicht weiß, ob da auch Stimmen der AfD enthalten sind, während Petra Kleine weniger als 25 Stimmen erreicht hätte? Allein der Gedanke daran bereitet Kopfschmerzen. Sollte Stachel 30 oder mehr Stimmen erhalten, dann wären die Stimmen der AfD nicht ausschlaggebend. Dann könnte er sein Amt bedenkenlos annehmen. Entsprechende Überlegungen gelten natürlich auch für die Wahl des zweiten Bürgermeisters/der zweiten Bürgermeisterin. Nach dem “Erfurter Modell” gewählte Bürgermeister oder Referenten werden sich wohl überlegen, ob sie die Wahl annehmen.

Dies soll kein Plädoyer gegen Petra Kleine sein. Doch sie hat die gleichen Probleme, die auch  Achim Werner oder Christian Lange hätten, wenn sie sich zur Wahl stellen würden. Alle waren Repräsentanten eines oft verbal harten Oppositionskurses und dürfen sich der Stimmen aus dem Lager der CSU, der Freien Wähler und vielleicht auch anderer kleinerer Gruppierungen nicht unbedingt sicher sein. Wie gesagt: Derartige Wahlen sind gute Gelegenheiten, alte Rechnungen zu begleichen. Und Scharpfs Vorsatz, die bisherigen politischen Lager aufzulösen und eine Zusammenarbeit zwischen allen Parteien herbeizuführen, hat sich in den Köpfen noch nicht durchgesetzt. Dies gilt auch für die Genossen der eigenen Fraktion und die Vertreter der bisherigen “Opposition“. Da meinen einige, man müsse es der CSU und den Freien Wählern jetzt umgekehrt mal richtig zeigen.

Christian Scharpf hat mit einer Machtwortmail auf die Postenspielchen hinter den Kulissen geantwortet:

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus allen Parteien, mit denen ich letzte Woche Gespräche geführt habe,
die Rückmeldungen auf mein DK-Interview vom Samstag und meine ergänzende Erklärung in den sozialen Medien waren überwältigend positiv. Weniger aus den Reihen aktiver Kommunalpolitiker, sondern vielmehr von ganz normalen Bürgern, die mich angeschrieben oder darauf direkt angesprochen oder sich auf Facebook geäußert haben.
Aus unseren Gesprächen mit allen Parteien in der vergangenen Woche und auch aus internen Diskussionen in meiner eigenen Partei ziehe ich folgende Schlüsse für das weitere Vorgehen:
1. Fahrplan
Es bleibt beim verabredeten Fahrplan für die kommende Woche. Ihre und Eure Rückmeldungen auf mein Diskussionspapier für Eckpunkte der künftigen Stadtpolitik werden spätestens am Dienstag allen zugeleitet und in der zweiten Gesprächsrunde vertieft. Am Ende dieses Prozesses sehe ich klarer, wer wie „tickt”, wer welche Vorstellungen hat und wo die Schnittmengen liegen. Für mich persönlich ist das ausreichend und ich werde meine künftige Politik als Oberbürgermeister nach diesen Erkenntnissen ausrichten und die Verwaltung für die verschiedenen Politikbereiche instruieren, entsprechende Beschlussvorlagen in den Stadtrat einzubringen. Ich strebe kein „Kooperationspapier“ an, das irgend welche Unterschriften von irgend welchen Parteien trägt. Das widerspräche meinem Versprechen, mit allen im Stadtrat zusammen zu arbeiten.
2. Ratschläge
Ich bekomme zahlreiche Ratschläge die genauso bunt sind wie der neue Stadtrat. Fast alle beziehen sich auf „Posten“ und „Machtoptionen“. Die einen sagen: “Bloß nicht ein 2. Bürgermeister von der CSU“. Andere sagen: “Bilde einen bürgerlichen Block aus SPD, CSU, FW“. Wieder andere sagen: „Das ehemalige Stichwahlbündnis sollte der neue Machtblock sein“. Am besten hat es ein ehemaliger Stadtrat auf den Punkt gebracht: Bei einem Stadtrat mit 11 Parteien sei ich der „Direktor eines Flohzirkus“. Angesichts der Kakophonie an völlig diametralen Vorschlägen kommt eine Woche nach der Stichwahl wenig „Freude“ auf, aber ich nehme die Herausforderung an. Außer den Ratschlägen, die darauf hinauslaufen, im neuen Stadtrat wieder neue Lager und Fronten aufzubauen, habe ich in der jetzigen Situation bislang leider keinen einzigen brauchbaren und realistischen Vorschlag erhalten. Ich werde deshalb weiter meinen eigenen Weg weiter gehen.
3.  2. und 3. Bürgermeister
a) 2. und 3. Bürgermeister werden vom Stadtrat gewählt und nicht von mir als OB bestimmt. Die SPD hat zusammen mit mir als OB 10 von 51 Stimmen im Stadtrat. Wir sind also weit davon entfernt, in diesem bunten Stadtrat aus eigener Machtfülle irgendwelche Posten vergeben oder versprechen zu können.
b) Meine Haltung ist eindeutig. Die neue Stadtspitze wird kein Parteienbündnis widerspiegeln. Wer auch immer Bestandteil der neuen Stadtspitze sein wird soll künftig im Stadtrat abstimmen wie er/sie will. Ich werde vorab keine wie auch immer gearteten Abmachungen unterschreiben. Das ist die logische Konsequenz aus meiner Haltung, künftig mit allen im Stadtrat zusammen zu arbeiten.
c) Da es kein Bündnis/Kooperation/Koalition gibt, plädiere ich dafür, dass sich die neue Stadtspitze aus den größten im Stadtrat vertretenen Parteien zusammen setzt. Bislang hat mir niemand einen anderen Maßstab genannt, mit dem man die Besetzung nachvollziehbar begründen könnte.
d) Die Grünen sind im neuen Stadtrat drittstärkste Kraft. Auch im Hinblick auf die starke Unterstützung in der Stichwahl ist mein Wunsch, dass die Grünen in der neuen Stadtspitze vertreten sein sollen. Das ist die einzige (!) Postenbesetzung, bei der ich mich bislang festgelegt habe.
e) Im Hinblick auf den zweiten zu besetzenden Posten in der Stadtspitze werde ich keine Wahlempfehlung abgeben, außer dem allgemeinen Plädoyer, dass dort die stärksten Parteien vertreten sein sollen, weil es bei einer Zusammenarbeit aller im Stadtrat keine Rangfolge unter den Parteien gibt. Wie meine eigene Fraktion abstimmen wird kann ich zum heutigen Tag nicht sagen, da es dazu bislang unterschiedliche Auffassungen gibt.
4. Personalreferent
Hierzu habe ich mich im DK, in den sozialen Medien und im Gespräch gegenüber der CSU bereits geäußert. Wenn sich die neue Stadtratsmehrheit für eine Neubesetzung des Personalreferenten entscheidet, dann wäre mein Ziel, einen erfahrenen leitenden Beamten aus dem Ingolstädter Rathaus ohne Parteibuch dafür gewinnen zu können. Ich habe verschiedene Namen im Kopf, mich aber noch nicht festgelegt und nehme gerne weitere Empfehlungen entgegen.
5. Postenbesetzungen
Anfragen über Abmachungen für irgendwelche Postenbesetzungen zum jetzigen Zeitpunkt sind bei mir zwecklos. Ich werde niemanden irgend einen Posten zusagen. Wir klären das gemeinsam wenn Neubesetzungen von Positionen anstehen, aber ich mache in der jetzigen Phase keine „Deals” über Referentenposten für die nächsten Jahre. Das macht bei einem Stadtrat mit 11 Parteien überhaupt keinen Sinn. Niemand hat eine Mehrheit.
Zum Thema Parteimitgliedschaft sage ich: Eine Parteimitgliedschaft sollte kein entscheidendes Kriterium für eine Postenbesetzung sein, sondern die Fachlichkeit. Eine Parteimitgliedschaft darf aber andererseits auch kein Hinderungsgrund oder Nachteil darstellen wenn jemand für einen Posten geeignet ist.
6. Allen Zweiflern sage ich Folgendes, und das müssen sich jetzt leider auch die CSU-Vertreter anhören, die diese E-Mail erhalten.
Der politische Neuanfang ist bereits geschafft: Nach 48 Jahren gibt es einen Wechsel auf dem OB-Sessel. Die CSU ist abgewählt und hat keine eigene „Machtoption“, wenn man unbedingt in diesen alten und überholten Kategorien denken möchte. Die CSU stellt zwar noch die größte Fraktion mit 13 Sitzen, aber sie ist nicht mehr in der Lage, anderen ihren Willen aufzuzwingen wie sie es ein halbes Jahrhundert lang getan hat. Der Stadtrat wird angesichts der Vielfalt an Parteien gestärkt, weil keiner durchregieren kann. Mir gefällt das, denn auch diese Tatsache bedeutet für mich politischer Neuanfang: Nämlich dass wir uns auf Gedeih und Verderb zusammen raufen und mit wechselnden Mehrheiten die besten Entscheidungen für Ingolstadt treffen müssen. Nur darum geht es: Um die Menschen in unserer Stadt und nicht um politische Machtspiele. Wer unter mir 2. oder 3. Bürgermeister ist, spielt für mich nicht die zentrale Rolle, denn die neue Stadtspitze – wie auch immer sie zusammen gesetzt sein wird – repräsentiert kein Parteienbündnis. Das ist das Beruhigende am Wahlergebniss: Keine Partei kann den anderen mehr ihren Willen aufzwingen. Der politische Neuanfang ist bereits Realität.
7. Mein Vorsatz, die bisherigen politischen Lager aufzulösen und eine Zusammenarbeit zwischen allen Parteien herbeizuführen, hat sich in vielen Köpfen noch nicht durchgesetzt. Ich tue mir leichter, weil ich von außen komme und die letzten Jahre nicht in die Ingolstädter Kommunalpolitik involviert war. Ich verstehe die immense Frustration bei vielen aus dem ehemaligen Oppositionslager. Es bringt die Stadt aber nicht weiter, wenn jetzt damit angefangen wird, alte Rechnungen zu begleichen. Ich bitte alle Parteien eindringlich: Schauen wir jetzt nach vorne, schütten wir alte Gräben zu und raufen wir uns zusammen zum Wohle unserer Stadt. „Der OB für ALLE“ war nicht bloß ein Wahlkampfslogan; es ist mir ernst. Ich bitte Sie und Euch dafür um Unterstützung in den kommenden Jahren. Machen wir das Beste daraus für die Menschen in unserer Stadt.
8. Offenheit und Transparenz: Ich werde dieses Schreiben der Presse zuleiten; es wird ohnehin die Runde machen.

Mit besten Grüßen,

Christian Scharpf