Wissen: Hubschrauber für jedermann – keine abgehobene Idee

Warum man auch in Zukunft nicht zum Barthelmarkt fliegen wird, es aber trotzdem wichtig ist, an Flugtaxis und Co. zu arbeiten.

UAM. Urban Air Mobility. Das steht für den Transport von Personen (aber auch Waren) durch die Luft im städtischen Raum. So gesehen ist das nun wirklich nichts Neues, meint auch Harry Wagner, Professor für Automotive & Mobility Management an der THI und Geschäftsführer der FMS Future Mobility Solutions GmbH in Gaimersheim. „In Großstädten fliegen permanent Hubschrauber. Und wenn man jetzt auf das Weltwirtschaftsforum nach Davos geschaut hat, dann sind die Gäste dort vom Flughafen Zürich mit dem Hubschrauber nach Davos geflogen.“ Was sich aber künftig ändern soll, ist die Verfügbarkeit: Nicht nur der vermögende Superstar oder Wirtschaftsboss soll sich so einen Flug leisten können, sondern jedermann. Derzeit koste ein Hubschrauber etwa 2500 Euro pro Stunde, ein autonomes Flugtaxi würde da vermutlich bei 250 Euro in der Stunde liegen. Maximal vier Passagiere könnte laut Wagner so ein Hubschrauber der Zukunft transportieren – und das überwiegend in den ganz große Metropolen der Welt.

Starten wie ein Hubschrauber – Fliegen wie ein Flugzeug

Die künftigen „Flugtaxis“ müssen vor allem eines können: platzsparend starten und landen. Mit einem Flugzeug, das eine lange Start- und Landebahn braucht, ist das in einer Stadt nicht möglich. Deshalb ist hier der Hubschrauber die beste Lösung. In diesem Zusammenhang liest und hört man daher oft von „vertical take-off and landing“ (VTOL). Der Hubschrauber aber hat in der Luft seine Nachteile, denn ohne Tragflächen bewegt sich nicht schnell genug vorwärts. Deswegen arbeiten Entwickler an einer perfekten „Mischform“ aus beiden Systemen, wobei auch noch auf einen Piloten verzichtet wird. Zudem sind sie batteriebetrieben und brauchen damit keine fossilen Treibstoffe. „Derzeit wird viel gesponnen und viel probiert,“ erklärt Harry Wagner. Drohnen, Gyrokopter (Tragschrauber) und diverse Mischformen an Fluggeräten sind weltweit in der Entwicklung. Auch in Ingolstadt und der Region werden sie entwickelt. So hat die Firma BEE Appliance aus Beilngries kürzlich ihren Lasten-Transporter in der Ingolstädter Fußgängerzone präsentiert.

Der Lastentransporter von BEE Appliance ist in der Ingolstädter Fußgängerzone schon mal “gelandet”.

Vier Anwendungsfelder für autonom fliegende „Transporter“ machen die Experten aus: Bereits im Einsatz sind Drohnen zur Überwachung z.B. von Bahnstrecken oder Katastrophengebieten. Die nächste Stufe ist der Transport von speziell benötigten Waren wie Medikamente. Stufe drei ist der Transport von allgemeinen Gütern und die Königsklasse wird der Transport von Menschen sein. „Für Ingolstadt ist das Flugtaxi aber kein Verkehrsmittel,“ meint Harry Wagner. „Ich werde sicherlich nie zum Barthelmarkt fliegen.“ Als Landeplatz für Flugtaxis käme in Ingolstadt wenn überhaupt der Hauptbahnhof in Frage, um von dort z.B. zum Flughafen München zu gelangen.

Prof. Harry Wagner

Aber es käme auch gar nicht darauf an, die Region mit fliegenden Taxis zu versorgen. Entscheidend sei es, bei der Entwicklung und der Erforschung mit dabei zu sein – nicht nur, was die „Hardware“ betrifft. Das Drumherum erfordert jede Menge „Hirnarbeit“ und die wird auch an der Technischen Hochschule in Ingolstadt geleistet. Da geht es zum Beispiel um Buchungssysteme, den Check-in, die Entwicklung von Batterien oder die Verknüpfung mit anderen Mobilitätsangeboten. Und es geht auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Diese wird gerade von der KU Eichstätt-Ingolstadt erforscht. Zudem sind in der UAM-Initiative zahlreiche Firmen, Kommunen und Kooperationspartner vernetzt. „Der Oberbürgermeister hat erkannt, dass der Industriestandort mit Audi künftig nicht mehr so stabil ist.“ Für den Wirtschaftsstandort mache die Ansiedlung und Förderung von Unternehmen aus dem Bereich UAM daher absolut Sinn. Und mit dem brigk Air kommt ja vor den Toren der Stadt in Manching noch ein Existenzgründerzentrum für Urban Air Mobility dazu. Hier könnten also Technologien entstehen und Spezialsten ausgebildet werden, die dann in Dubai oder Sao Paolo maßgeblich an den dortigen UAM Angeboten arbeiten. Im heimischen Modal-Split wird das Thema Flugtaxi höchstens 1% ausmachen, schätzt Harry Wagner.

Sao Paulo gehört nach Ansicht von Harry Wagner zu den Metropolen, in denen künftig auch Flugtaxis eingesetzt werden. Hier hat Airbus bereits mit dem VertiHub ein ganzes Konzept mit Start- und Landemöglichkeit ausgerabeitet.

„Ingolstadt ist in Deutschland dabei sicherlich die führende Modellregion. Aber international haben wir einen signifikanten Aufholbedarf“, erklärt der Professor. Und er sieht aktuell ein Problem im Wettbewerb der Modellregionen. Sein Wunsch wäre eine sinnvolle Zusammenarbeit anstelle von Konkurrenz auf den selben Forschungs- und Entwicklungsgebieten. Außerdem hält er die Förderung in Deutschland für zu zaghaft: „Wenn man das Thema ernst nehmen soll, muss es mehr Geld geben. Frankreich hat zehnmal so viel Fördermittel frei gemacht wie Deutschland.“ Es geht also nicht darum, ein Flugtaxi in Ingolstadt fliegen zu lassen, wohl aber die schlauen Köpfe, die dahinter stecken, in der Region zu behalten.