Wissen: Von der Müllkammer zur historischen Sensation

Im Georgianum ist Deutschlands ältester Karzer entdeckt worden. Und die dort eingesperrten Studenten hinterließen ihre Spuren.

Wurde das Georgianum vor Kurzem noch als Denkmal nationaler Bedeutung eingestuft, habe man nun wohl auch einen „Karzer nationaler Bedeutung“. So ordnete Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle den Sensationsfund bei einem Rundgang durch das Gebäude schmunzelnd, aber treffend, ein. Schließlich gibt es wohl in ganz Deutschland keinen vergleichbaren Raum, der über 500 Jahre Studiengeschichte repräsentiert – Graffitis inklusive!

Der rote Pfeil markiert den Eingang zum “Mülltonnenraum”, der sich nun als historische Sensation entpuppt hat.

Erst im Rahmen der aktuellen Bauforschung, die im Vorfeld der Sanierung nötig ist, ist man auf den Karzer gestoßen, obwohl er sich ja ein halbes Jahrhundert lang nicht vom Fleck bewegen konnte. Bis vor kurzem standen dort noch Mülltonnen. Und selbst Josef Dintner vom Stadtplanungsamt, der seit 20 Jahren in dem historischen Bau ein und aus geht, hatte nichts davon geahnt. Offensichtlich wurde in diesem niedrigen und verliesartigen Raum aber auch nichts umgebaut oder massiv übermalt, denn im Putz und an den Balken befinden sich noch zahlreiche schriftliche Hinterlassenschaften der Insassen. „Der unscheinbare Raum sollte eigentlich zur Putzkammer ausgebaut werden,“ erklärte Nicolai Fall, Geschäftsführer der INKoBau. Über diese Idee heißt es aber nun: Schwamm drüber. Der Karzer und seine Inschriften an den Wänden werden zunächst weiter erforscht und dann für die Nachwelt erhalten.

Foto: INKoBau

Das Collegium Georgianum wurde von Herzog Georg dem Reichen erbaut und 1496 fertig gestellt, so auch der Karzer. Dieser hatte einen ganz klaren Zweck: Hier mussten Studenten, die sich „daneben benommen“ hatten, weil sie zum Beispiel beim Glücksspiel erwischt wurden, ihre Strafe absitzen. Drei Tage lang in dieser engen Zelle – das war nun wirklich kein Spaß. Was aber noch viel schlimmer war: Ein Stipendiat des Collegiums, der im Karzer landete, flog daraufhin auch gleich von der Universität. Der Name „Asperger“, der in die Wand eingeritzt gefunden wurde, ist bereits als Student der ersten bayerische Landesuniversität in Ingolstadt identifiziert worden. Dank der guten Datenlage (alle Studentenregister und Verzeichnisse über Professoren etc. sind durchgehend erhalten) werden auch noch weitere Personen regelrecht greifbar werden. Die Jahreszahlen 1589 und 1754 sind ebenfalls bereits identifiziert, auch ein lateinisches Zitat aus Vergils Aeneis hat ein (gelangweilter?) Student in die Wand geritzt. Anhand dieser Hinterlassenschaften sollen nun exemplarische Lebensläufe erarbeitet werden, um diese dann zum Beispiel im Rahmen eines Dokumentenkonzepts für Besucher zugänglich zu machen.

Nicolai Fall und Reinhard Brandl im Karzer

Nur in Ingolstadt kann man ein halbes Jahrhundert universitäre Geschichte erleben. „Es gibt in Deutschland keinen Ort, der so für die Hochschulbildung im Mittelalter steht,“ meinte der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl, der sich zusammen mit Nicolai Fall in den Karzer wagte. Die Komplexität, in der man im Georgianum universitäre Geschichte erleben könne, sei einzigartig. Das war auch schon vor dem Fund des Karzers klar, weshalb der Bund 5,7 Millionen Euro Fördermittel für die Sanierung in aktuellen Haushalt bereit stellt. Insgesamt sind 17,8 Millionen Euro für Sanierung und Ausbau veranschlagt.

In dem Gebäude mit seiner langen Geschichte (bis 1800 Priesterseminar, danach Sitz der Brauerei Herrnbräu gefolgt von der Firma Gummi Kraus, seit 2000 steht es leer) soll künftig gleich mehrere neue Nutzungen erfahren: Zum einen wird hier das Ethikzentrum der KU Eichstätt-Ingolstadt untergebracht (was die universitäre Tradition des Standorts wieder weiter führen würde), zum zweiten wird die Fasshalle gastronomisch genutzt und die ehemalige Kapelle „Peter und Paul“ wird als öffentlicher Veranstaltungsort (hoffentlich) vielseitig bespielt werden.